„Beziehungen“ und „Freundschaften“
admin Mai 9th, 2011
Viel bedeutender als die Möglichkeit, mehrere Menschen gleichzeitig zu lieben, ist meiner Meinung nach die Chance, Liebe als solche zu dekonstruieren und zu fragen: Worin unterscheiden sich eigentlich Liebe und Freundschaft? Was ist das, Liebe? Ich denke, dass Liebe letztlich nur die gesteigerte Sympathie und Zuneigung ist, die ich auch „Freund_innen“ gegenüber empfinde, und damit ist sie nicht mehr klar zu definieren. Es gibt natürlich Abstufungen, weil ich Menschen durchaus unterschiedlich gern hab, aber ich könnte nicht sagen: „Hier beginnt Liebe.“ Und genau genommen soll es darum im Grunde ja auch gar nicht gehen, denn wo einmal von Liebe gesprochen wird, darf alles andere überhaupt nicht mehr Liebe sein. Beschrieben wird nicht primär ein Gefühl, sondern viel mehr ein Zustand.
Und Beziehungen werden in der Tat vor allem über etwas anderes definiert als über Liebe, nämlich über die Ausschließlichkeit von Körperlichkeit. Liebe ist weder genau zu definieren, noch ist sie sichtbar. Das macht es sehr schwierig, über Liebe eine Exklusivität herzustellen, weil man diese nicht prüfen kann. Und so erreicht man sie darüber, dass es nur einen Menschen geben soll, mit dem man kuschelt, den man küsst, mit dem man schläft. (Umarmungen mit anderen zur Begrüßung und zum Abschied sind ok, mehr aber nicht!) Dass man selbst der einzige Mensch ist, mit dem der oder die andere diese Körperlichkeit teilt, soll gleichbedeutend damit sein, dass man auch der einzige Mensch ist, der von ihm_ihr geliebt wird. (Mit sexuell offenen Beziehungen verhält es sich noch ein wenig anders, aber das würde hier den Rahmen sprengen.)
Die Monogamie besteht ja eben darin, dass dem so ist, dass man als einziges geliebt wird, und um genau das sichtbar zu machen, werden „Beziehungen“ in Abgrenzung zu „Freundschaften“ körperlich definiert, während „Freundschaften“ platonisch und weniger intensiv sein sollen. Je nachdem, wie konsequent Menschen mit dieser Kategorisierung umgehen, kann es zwar doch mal sein, dass zwei miteinander befreundete Menschen zum Beispiel zusammen kuscheln (sofern eventuell existierende Partner_innen das zulassen), aber spätestens bei Küssen und Sexualität ist dieser Spielraum dann auch meist ausgereizt (oder man ist plötzlich „zusammen“, um es zu legitimieren) und man orientiert sich eben an dem, was die Kategorie einem vorgibt. Wer sich umsieht, wird dies bestätigen können.
Die Kategorien, in denen wir landen, entscheiden darüber, wie ein bestimmtes Verhältnis auszusehen hat. Ein Verhältnis, das als ein „freundschaftliches“ definiert wurde, wird in der Regel keine oder nur geringe körperliche Nähe beinhalten. Manchmal schon deshalb, weil eine_r von beiden noch eine monogame Beziehung führt, die eben dies einfordert. Manchmal aber auch, weil diese Kategorien bereits so sehr verinnerlicht wurden, dass man sich auch ohne äußeren Druck an sie hält, das eigene Denken also bereits durch sie strukturiert ist.
Ebenso wenig, wie es dabei vorgesehen ist, dass „Freundschaften“ auch körperliche Nähe einschließen, ist es vorgesehen, dass man in „Beziehungen“ beispielsweise keinen Sex miteinander hat. (Wer ihn (länger) nicht möchte, wird damit in vielen Fällen Gefahr laufen, verlassen zu werden.) Beispielsweise gilt Sex in der Ehe nach wie vor als „eheliche Pflicht“ und es ist gar nicht lange her, dass damit auch Vergewaltigungen in der Ehe gerechtfertigt wurden und straflos blieben. Heute hat sich das zum Glück geändert, aber nach wie vor gilt Sex als Pflichtbeitrag zur ehelichen Gemeinschaft, nur dass er heute nicht mehr eingeklagt werden kann.
Es geht also nicht darum, was zwei Menschen eigentlich miteinander möchten, sondern darum, was ihre Kategorie ihnen vorschreibt. Natürlich soll niemand angehalten sein, entgegen seiner Bedürfnisse die Nähe eines anderen zu suchen, aber die Frage, was denn eigentlich die eigenen Bedürfnisse sind, ist so ja gar nicht erst vorgesehen. Die wenigsten Menschen denken wirklich darüber nach, was konkret sie mit einem anderen Menschen leben möchten. Dabei wären die Möglichkeiten im Grunde so zahlreich. Es könnte Menschen geben, mit denen man sich vielleicht gerne im Arm liegt. Vielleicht findet man es auch spannend, sie mal zu küssen, vielleicht auch nicht. Vielleicht möchte man mit jemandem schlafen, von dem man aber weiß, dass es wohl zu viel Knatsch geben würde, würde man darüber hinaus zu viel Zeit miteinander verbringen. Zwischenmenschliche Beziehungen könnten so vielseitig sein, so unterschiedlich und individuell. Aber wir machen sie gleich, fragen nicht nach konkreten Bedürfnissen, denken darüber nicht nach, sondern kategorisieren Kontakte und halten uns dann an das, was sich daraus ergibt.
Ich stelle es mir unglaublich schön vor, würde ich Menschen einfach begegnen können, ohne schon zu wissen, was mit ihnen sein darf und was nicht. Man würde einfach schauen können, was man miteinander möchte, würde ein wenig experimentieren, Gemeinsamkeiten entdecken und vielleicht auch, was man miteinander vielleicht nicht möchte. Da wäre niemand mehr, der einem reinredet, weil man selbst oder der andere vielleicht „vergeben“ ist, und es wäre selbstverständlich für uns, uns Gedanken zu machen darüber, was wir eigentlich genau mit einem anderen Menschen möchten, anstatt das im Grunde bereits festzulegen, noch bevor wir ihn kennengelernt haben.
Als Bezeichnungen allein würden die Begriffe „Beziehung“ und „Freundschaft“ nichts taugen, denn sie würden an dem, was ist, ja nichts ändern. Sie machen nur Sinn, wo sie Konsequenzen haben, wo sie etwas regeln und sie müssen etwas regeln, solange eine zwischenmenschliche Beziehung von allen anderen fundamental zu unterscheiden sein muss. Wo Monogamie ist, müssen Freundschaften platonisch bleiben.
Und es geht mir hierbei keineswegs primär um Sexualität. Ich denke an die Einsamkeit, die in dieser Gesellschaft sehr, sehr viele Menschen fühlen. All die Menschen, die keine (Zweier)Beziehung führen (wollen), bleiben ausgenommen von Zärtlichkeit und Wärme, da der einzige Ort, an dem Geborgenheit möglich sein soll, ja die monogame Zweierbeziehung ist. Millionen Menschen da draußen sehnen sich danach, mal in den Arm genommen zu werden (94% der Singles / Quelle), mal nicht allein einzuschlafen (78% der Singles), dass sich auch mal jemand bei ihnen anlehnt. Und das geschieht nicht etwa deshalb nicht, weil diese Menschen alle liebensunwert sind, sondern weil mit ihnen niemand eine Zweierbeziehung führt, ohne die Nähe ja nicht oder nur selten stattfindet.
Und ganz ehrlich, da ist die Frage erlaubt, wie gut wir unsere Freund_innen eigentlich kennen und wie wir mit ihnen umgehen. Wenn 94% der Singles von niemandem einfach so mal in den Arm genommen werden, obwohl es dazu nur zwei Arme und etwas Zuneigung braucht, kann unser Umgang miteinander so liebevoll nicht sein. Die meisten Menschen brauchen körperliche Nähe, um sich gänzlich angenommen zu fühlen, sich mal fallen lassen zu können, aber es liegt im Wesen der Monogamie, dass sie das unmöglich macht oder zumindest sehr erschwert. Weil es ja die Exklusivität einer „Beziehung“ infrage stellen könnte. Aus der Monogamie folgt die soziale Kälte. Selbst für jene, die vielleicht eine Zweierbeziehung eingegangen sind, denn auch sie sind betroffen von der allgegenwärtigen Distanz allen anderen Menschen gegenüber. Sich in Form einer monogamen Beziehung an einen Menschen zu binden, heißt letztlich auch, sich von allen anderen zu trennen.
Ich lehne diese Kategorien ab, weil ich der Meinung bin, dass sie uns an einem schöneren und liebevolleren Umgang miteinander hindern. Und ich lehne die Monogamie ab, weil sie ohne diese Kategorien nicht auskommt. Dies ist einerseits natürlich eine Kritik am monogamen „Normalzustand“, aber zugleich auch eine an jenen Menschen, die zwar polyamor leben, die diese Kategorien aber unangetastet lassen und einfach mehrere „Beziehungen“ führen, anstatt des Prinzip von „Beziehung“ und „Freundschaft“ grundsätzlich infrage zu stellen.
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