Buchbesprechung Franklin Veaux und Eve Rickert: More than Two

August 16th, 2016

Buchvorstellung:

More than Two: A Practical Guide to Ethical Polyamory

von Franklin Veaux und Eve Rickert

  • Taschenbuch: 480 Seiten
  • Verlag: Thorntree Press (September 2014)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-13: 978-0991399727 (ePub)
  • ISBN-10: 0991399706 (softcover)
  • ISBN-13: 978-0991399703 (softcover)
  • Größe: 15,2 x 2,8 x 22,9 cm

Dies ist ausnahmsweise eine Leseempfehlung für ein englischsprachiges Buch. Und zwar weil es das noch nicht auf Deutsch gibt und es mit Abstand das beste Buch über Polyamorie ist, das ich kenne. Eine deutsche Übersetzung ist in Vorbereitung, aber man sollte nicht darauf warten.

Wenn man noch nie ein Buch über Polyamorie gelesen hast, dann ist dieses die beste Wahl. Und selbst wenn man bereits jedes Buch über Polyamorie gelesen hat ist dieses auf jeden Fall die beste Wahl für die nächste Lektüre!

Ultrakurzbeschreibung:

Ein praktischer Leitfaden für verantwortungsvolle Polyamorie, der an vielen Stellen dort einsteigt, wo „Schlampen mit Moral“ endet. Ein absolut bodenständiges und extrem umfangreiches Werk, das alle relevanten Themen in der Breite und Tiefe darlegt.

Kurzbeschreibung:

Die Partner, Autoren und praktizierenden Polyamoren Franklin Veaux und Eve Rickert haben ein langerwartetes, thematisch breit aufgestelltes Werk über die vielschichtigen Themen zur Polyamorie zur Verfügung gestellt. Sie gehen auf die Nuancen ein (es ist nicht dasselbe wie swingen), die Beziehungsmöglichkeiten (passt ein V, ein N oder ein offenes Netzwerk?), die gängigen Irrtümer (erwarte keine wilden Orien und endlosen Sex – aber schließ sie auch nicht aus!) und die Bedingungen (Kommunikation, Transparenz und Vertrauen sind unabdingbar). Die Autoren teilen ihre hart erarbeiteten philosophischen Einsichten ebenso wie ihre Verletzungen und Niederlagen.

Das neue Standardwerk ist mit langjähriger Erfahrung und lebendig geschrieben und vermittelt die Grundlagen einvernehmlicher, verantwortungsvoller und aufmerksamer Mehrfachbeziehungen fundiert und praxisnah.

Rezension von Cloudy:

Franklin Veaux ist einer der besonders bunten Hunde unter den US-Amerikanischen Poly-Aktivisten und ich lese seinen Blog Xeromag.com schon seit etlichen Jahren. Er lohnt sich. Ein paar seiner Artikel habe ich in den letzten Jahren hier übersetzt, weil ich sie so nützlich fand.

Ich war daher sehr gespannt auf sein Buch, das während der Crowdfunding-Kampagnen Phase als „Best of Xeromag“ angekündigt wurde, und ich wurde nicht enttäuscht: Es lohnt sich, sogar sehr. Und das auch, weil es letztlich etwas ganz anderes geworden ist als eine Zusammenfassung des Blogs: Es ist eine sehr strukturierte, sehr umfangreiche Abhandlung in praktischer Beziehungsphilosophie… und das meine ich nicht als Abschreckung. Eves Einfluss auf das Buch war immens, Franklins extrem technisch-sachlichen Darlegungen sind durch ihre einfühlsam-psychologischen Ansätze sehr bereichert und auf einer menschlichen Ebene wesentlich besser verständlich geworden, so dass ein wirklich leicht lesbares und dabei erschlagend überzeugendes Werk entstanden ist, bei dem man so ziemlich auf jeder Seite selbst bei lautloser Lektüre aus tiefem Herzen „Fuck, yeah!“ rufen muss.

(Außerdem hat Eve durchgesetzt, dass an vielen Stellen ein persönliches Erlebnis erzählt wird, das den Punkt illustriert, der gerade im Text behandelt wird. Für viele Menschen macht das den Inhalt der Kapitel tatsächlich anschaulicher und leichter zugänglich.)

Ich habe schon sehr viele Bücher über Polyamorie gelesen – unter den deutschsprachigen vermutlich tatsächlich alle – sowohl Ratgeber als auch andere Formate. Falls es Euch interessiert: Eine umfangreiche Bücherliste (mitsamt meinen Rezensionen) befindet sich im Beziehungsgarten.

Leider gibt es bisher noch keine deutsche Übersetzung; man hört, dass ein österreichischer Verlag die Rechte gekauft habe, aber es ist noch kein Publikationstermin in Umlauf – daher kann ich es momentan nur für Menschen mit ausreichenden Englischkenntnissen empfehlen, aber dies möchte ich mit Nachdruck tun! Es ist nicht schwer geschrieben, mit einem kleinen bisschen Hilfe aus dem Wörterbuch kommt man mit Schulenglischkenntnissen ziemlich gut klar.

Franklin und Eve verwenden eine leicht verständliche, klare, bodenständige und weltanschaulich neutrale Sprache, gut strukturierte Sätze und kommen ohne wichtigtuerische Wortschöpfungen aus, die in einigen Polykreisen leider zum guten Ton zu gehören scheinen.

Franklin ist ein ziemlicher Nerd. Er denkt sehr logisch, geht Probleme eher analytisch als emotional an. Seine Art, Zusammenhänge aufzuzeigen ist äußerst einleuchtend und ich habe mich beim Lesen oft erwischt, wie ich dachte: „Ja na klar, genau so. Total offensichtlich! Warum ist mir das nie aufgefallen?“

Das Buch ist extrem praxisorientiert, d.h. das alltägliche Beziehungsleben mit seinen substanziellen und marginalen Problemen steht im Fokus – diese Probleme werden jedoch nicht als zufällige oder singuläre Ereignisse inszeniert, mit denen niemand hätte rechnen können, sondern sie werden in den Sinnzusammenhang der jeweiligen Beziehungslogik gesetzt, also die strukturellen Gründe aufgezeigt, warum bestimmte emotionale und gedankliche Konstellation entstehen und sich verfestigen, die bestimmte Probleme zur Folge haben.

Im Buch wird aber erfreulicherweise nicht eine alles erklärende Philosophie oder heilbringende esoterische Betrachtung verkauft, keine lebensuntauglichen Idealvorstellungen, nach denen man sich doch bitte voller Schuldgefühle über die eigene Unzulänglichkeit auszurichten habe, keine spirituellen Erkenntnisse, ohne die man leider im Dunkel der ewigen Unerleuchtetheit vor sich hinsiechen muss. Franklin und Eve erklären ihre Ethik ganz unverblümt, und begründen sie sehr rational, halten sich im Buch aber durchgehend mit Bewertungen und Urteilen zurück, was ich sehr angenehm finde.

Franklin und Eve vertreten insbesondere egalitäre, offene Beziehungen, also nicht-hierarchische Beziehungen mit sexueller Freizügigkeit bzw individueller sexueller Selbstbestimmung, was sicher nicht jederfraus Sache ist, aber auch hier begründen sie sehr gut warum sie dieses Modell für besonders sinnvoll halten und welche Probleme man sich mit anderen Ansätzen einhandelt. Außerdem legen sie einen Schwerpunkt auf langfristige (viele Jahre andauernde) Beziehungen, was ich ebenfalls sehr angenehm finde, weil es dadurch oft dort fortführt, wo „Schlampen mit Moral“ aufhört. Es geht also nicht zentral um sexuelle Befreiung und den Mut zum Ja, sondern um ethische Grundlagen für das konstruktive Denken und Handeln in langfristigen, guten Beziehungen, die das Leben bereichern und das Übernehmen von Verantwortung zu einer durchweg positiven Option machen.

Es gibt im Buch „nur“ 2 Kapitel über Sex, eines über übertragbare Krankheiten, und eines über die anderen physischen, psychologischen und emotionalen Risiken, die Sex mit sich bringen kann. Hier gibt es schon relativ konkrete Beschreibungen von sexuellen Handlungen, aber keine pornographischen oder verstörenden Stellen, es ist alles sehr sachlich und wie ich finde eher Biologiebuchartig, also sehr informativ (und zwar wirklich!) und auf vielfältige Aspekte eingehend, die in gewöhnlichen Ratgebern oft nicht so richtig klar auf den Tisch kommen.

Natürlich kommt Sex aber irgendwie auch in allen anderen Kapiteln gelegentlich vor. Und dass es Dinge wie BDSM, sexuelle Minderheiten und andere merkwürdige Dinge gibt. Ich fand keine davon Triggerwarnungswürdig – ich war allerdings beeindruckt davon wie oft ich Leute dabei beobachtet habe, wie sie während der Lektüre der psychologischen Analysen diverser emotionaler Ausnahmezustände weinerlich wurden… weil diese so messerscharf und unbarmherzig sind, dass man sich manchmal sehr ertappt und ganz erstaunlich unfähig fühlt. Emotionaler Missbrauch wird zB erfreulich umfangreich angesprochen, was ich noch in keinem anderen Poly-Buch zufriedenstellen behandelt gefunden habe. Zum Trost kann ich aber hinzufügen, dass das Buch durchweg optimistisch, ermutigend und unterstützend ist und aus jedem Problem letztlich eine Fülle von Auswegen aufgezeigt werden.

Besonders interessant finde ich, dass die Perspektive auf Liebe und Beziehungen nicht so radikal eingeschränkt wird wie in den üblichen paarzentrierten Hetenratgebern. Ich habe mich mit vielen Menschen über das Buch unterhalten, die einen völlig anderen Lebensstil praktizieren, und alle fühlten sich von diesem Buch extrem angesprochen. Ja, es gibt im Buch durchaus viele Hinweise für Menschen, die sich ein paarzentriertes Leben wünschen, und viele Themen kreisen um „intimate romantic relationships“, also romantische Liebesbeziehungen im mehr oder weniger herkömmlichen, konservativen Sinne (bis auf die sexuelle Nicht-Exklusivität jedenfalls); aber es wird auch immer wieder auf Solo-Polys, Asexuelle und Beziehungsanarchisten eingegangen – und eine Heteronormierung findet auch nicht statt.

In den meisten Sätzen ist die nicht spezifizierte Beispiel-Person übrigens eine „she“, und zwar in absolut allen Rollen, was mir ganz positiv aufgefallen ist.

Auch sonst ist das Buch erfreulich feministisch: Es findet an keiner Stelle eine Unterteilung in „Menschen“ und „Frauen“ statt, für die dann verschiedene Verhaltensregeln ausgesprochen werden – was leider in vielen Ratgebern eine Art Grundverständnis der Welt darzustellen scheint. Und die Kapitel zu Hierarchien und Empowerment geben ganz unaufgeregt den relevanten modernen feministischen Diskurs wieder, ohne sich dabei nur auf weiblich gelesene Menschen zu beziehen, was ich persönlich sehr gut finde, denn dadurch kann jedermensch, der sich mit diesen Themen noch nie befasst hat, einen sinnvollen Einstieg finden, ohne sich permanent angefeindet und angegriffen zu fühlen.

Tatsächlich ist Vieles im Buch auch ganz jenseits von Poly-Beziehungen und sogar jenseits von Liebesbeziehungen allgemein sehr nützlich und hilfreich. Es gibt große Blöcke über Kommunikation und faires Verhandeln, die man wirklich in jedem „Menschenratgeber“ gut gebrauchen könnte.

Tja, und jetzt zu den Nachteilen.

Leider ist das Buch wirklich dick, 480 Seiten voller Buchstaben lauern zwischen den Buchdeckeln, und nein, es gibt keine Bilder! 🙂

Man hat also ordentlich was zu tun, wenn man sich da durchkämpfen will. Es gibt aber auch eine Audiofassung, wenn man sowas mag.

Während der erste Teil recht straff ist und ich mir ziemlich oft kleine Denkpausen gönnen musste um mit der geballten Masse an Inhalt klarzukommen, wiederholt sich später sehr viel. Auf diese Art soll wahrscheinlich immer besser und ausführlicher erklärt und argumentiert werden; ich war aber schon beim ersten Mal voll im Boot und kam mir dann manchmal ein bisschen so vor als würde ich grad versehentlich den Stoff aus dem letzten Schuljahr wiederholen…. Also sich kurz zu fassen ist ganz klar nicht Franklins Superkraft, aber ich hab auch schon von etlichen Menschen gehört dass sie das ganz gut fanden weil sie es so besser verdauen konnten.

In diesem Sinne wünsche ich einen guten Appetit, viel Vergnügen und große Erkenntnisse bei der Lektüre!

(Diese Rezension ist zuerst erschienen in der Krake 10, dem  großartigen Magazin für Frauen in unordentlichen Beziehungen, zu beziehen über Gwendolin unter polylogo@gmx.de, Infos auf http://diepolytanten.hostzi.com)

Rezension von Juli Sonne:

Da es das Buch leider nur auf englisch gibt, hier mal eine andere Art einer überwiegend deutschen Zusammenfassung:

More than two – A Practical Guide to Ethical Polyamory

Worum es geht in drei Sätzen: Das Autorenpaar erläutert in diesem Klassiker die Grundlagen für Polyamorie und gibt Empfehlungen für den Umgang mit den normalen und neuen Beziehungsherausforderungen, die sie mit sich bringt. Mit den beiden Axiome, dass Menschen wichtiger sind als ihre Beziehungen untereinander und Menschen keine Dinge sind, entwickeln sie die Grundlagen für ethische Beziehungen: Transparenz, Einvernehmen und Entscheidungsfähigkeit aller Beteiligten. Es folgen viele Kapitel zu Kommunikation und besonderen Herausforderungen, immer zurückgeführt auf die Grundlagen und angereichert mit lebendigen Beispielgeschichten.

Was neu für mich war: Ich habe endlich verstanden, warum bzw. wann Hierarchien in der Polyamorie als problematisch betrachtet werden und wie genau die Unterschiede zwischen Grenzen, Regeln und Vereinbarungen Sinn machen.

Was mich störte: Für mich viel Wiederholung besonders in den ersten Kapiteln, aber auch insgesamt sehr lang und auf Englisch fällt mir Querlesen schwerer.

Wem ich es empfehlen würde: Allen, die Lust haben in oder besonders jenseits der üblichen Mono-Normativität ihre Beziehungen so weiterzuentwickeln, dass sie selbst und ihre Partner*innen größtmögliche Chancen haben, ihr bestmögliches Ich zu leben.

 

  (Zeichnung von Juli Sonne)

Links:

Rezensionen bei Amazon (überwiegend deutsch), von Solopoly.net (englisch)

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