Wie man Polyamorie nicht für alle ruiniert in 6 einfachen Schritten

März 9th, 2014

Übersetzung des englischsprachigen Artikels „How to Not Ruin Polyamory for Everybody in 6 Easy Steps

von inurashii

Wie man Polyamorie nicht für alle ruiniert in 6 einfachen Schritten

Ich bin sicher nicht der einzige Mensch, der von der vielen guten Presse begeistert ist, die Polyamorie in letzter Zeit bekommen hat. Ich lese Artikel darüber, was Polyamorie ist, über einige der unzähligen Arten, wie Menschen sie praktizieren, und, ganz neu, darüber, wie man es vermeidet, sich seinen polyamoren Freunden gegenüber wie ein Arschloch zu benehmen. Das ist schön! Ich mag es, wenn die Leute sich mir und den meinen gegenüber nicht wie Arschlöcher benehmen.

Das Problem ist, dass ich auch einen Haufen Beiträge von nicht-polyamoren Menschen lese, in denen sie zum Ausdruck bringen, dass sie – völlig zu Recht – einen schlechten Eindruck von Polyamorie haben. Es geht dabei nicht darum, dass sie sich von Polyamorie bedroht fühlen oder verunsichert wären, so wie sich ein homophober Mensch verhalten würde, wenn er mit der ärgerlichen Tatsache konfrontiert wird, dass homosexuelle Menschen existieren. Es ist eher eine gewöhnliche Verärgerung, ausgelöst durch eine Assoziation von Polyamorie mit selbstgefälliger Ich-bin-erleuchteter-als-du-Effekthascherei.

Dieser schlechte Ruf ist wohlverdient. Ich kenne „diesen unangenehmen Poly“, bin selbst schon mehr als ein Jahrzehnt lang poly und nicht mehr in der Lage, es als eine Art große Sache zu sehen. Ich habe viele wohlmeinende Leute in die Falle tappen sehen, Polyamorie zu einem Thema zu machen, das Mono-Leute eher unter den Teppich kehren würden.

Also, wie vermeidet man es,„dieser unangenehme Poly“ zu sein? Ich bin froh, dass Sie fragen.

1. „Moralisch integer“ ist nicht optional

Man könnte meinen, dass dies offensichtlich sei, aber Beziehungsmodelle sind eine merkwürdige Sache.
Teilweise hängt das damit zusammen, dass zwei Dinge passieren, wenn Menschen ein neues und aufregendes Konzept entdecken:

1. Sie sind völlig begeistert und wollen allen erzählen, wie toll diese neue Sache ist.
2. Sie scheitern erbärmlich und offenkundig beim Versuch, diese neue Sache zu tun.

Die Folge davon ist, dass es eine Menge Leute gibt, die wirklich begeistert von Polyamorie sind und dabei gleichzeitig äußerst schlecht repräsentieren über was sie reden.

„Aber Moment“ , sagen Sie. „Das klingt, als wollten Sie festlegen, was ‚gutes‘ und was ’schlechtes‘ Poly ist. Das wäre falsch!“

Schauen Sie, dieser Einwurf geht am Thema vorbei. Es gibt eine Menge verschiedener Möglichkeiten, Polyamorie zu leben, und viele von ihnen sind total okay. Selbst wenn manche davon auf mich ein wenig defekt wirken, bezeichne ich kaum jemals ein Poly-Modell als „nicht poly“. Wenn es eine gemeinsame Definition für Polyamorie gibt, dann ist es doch „moralisch vertretbare, liebesbasierte Nicht-Mono-Amorie.“ Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber wenn ich jemandes Verhalten als moralisch unvertretbar wahrnehme, fühle ich mich überraschend wohl dabei, das zu kritisieren!

Wenn nicht alle beteiligten Parteien zugestimmt haben, dass die Beziehungen geführt werden, ist es nicht Polyamorie. Wenn jemand einen tollen neuen Namen für Fremdgehen gefunden hat, ist es nicht Polyamorie. Wenn jemandem Informationen vorenthalten werden, der sie haben sollte, ist es nicht Polyamorie.

Wenn Sie offene Beziehungen führen, die aber nicht moralisch vertretbar sind, ist es wahrscheinlich ohnehin in Ihrem besten Interesse, die Klappe zu halten.

2. Nicht missionieren

Wenn es etwas gibt, was jeder liebt, dann sind es Verkäufer. Wenn es etwas gibt, das die Menschen noch mehr lieben als einen Verkäufer, dann ist es ist ein Verkäufer, der Ihnen sagt, dass er besser als Sie ist, und es auch bleiben wird, bis Sie sein Produkt kaufen. Noch dazu will der Verkäufer Sie wahrscheinlich flachlegen, und das ist noch ein zusätzliches Vergnügen.
Ich bin weder Wahrsager noch Soziologe, aber das sind Sie wahrscheinlich auch nicht, und selbst wenn Sie es sind, sind gesellschaftliche Trends im besten Falle eine unsichere Angelegenheit. Der Punkt ist, dass Polyamorie vielleicht die nächste Stufe in der menschlichen sozialen Entwicklung ist, und jeder ein bisschen Polyamorie in sich trägt. Ich weiß es nicht. Sie wissen es nicht. Niemand weiß es.
Weil man es nicht weiß, ist es wichtig zu erkennen, dass man nicht automatisch erleuchteter ist, weil man poly lebt. Es ist keine magische Beziehungsstruktur, die von den Autoren von The Ethical Slut entdeckt wurde und wir nähern uns nicht dem Zeitpunkt der kosmischen Polyerleuchtung, um zu einer einzigen weltumspannenden Beziehungsstruktur zu werden, die von einem monolithischen Google Kalender regiert wird.
Was man dabei praktisch mitnehmen kann ist, dass Polyamorie nicht der natürliche Zustand der Menschheit ist, und dass sie ist nicht jedermanns Sache ist. Seien Sie kein Missionar. Es ist kein Wettbewerb, es gibt keine Waschmaschine zu gewinnen, Sie bekommen keine Vorzugsbehandlung.
Ich sage nicht, dass man Polyamorie niemals an Dritte weiterempfehlen könnte. Wenn Sie denken, Sie kennen jemanden, der wirklich von Polyamorie profitieren würde, dann reden Sie mit demjenigen darüber, wenn Sie bereits ein Gespräch über Beziehungen führen. Menschen neigen dazu, sich mit der Vorstellung von Polyamorie wohler zu fühlen, wenn sie den Eindruck haben, dass sie ganz ungezwungen auf diese Idee kamen, und oft kommen sie dorthin über Informationen, die sie von Freunden erhalten. Der entscheidende Punkt ist, wie es an einen herangetragen wird. Wurden Sie gebeten, über Ihr Beziehungsmodell sprechen? Oder haben Sie es einfach von sich aus jemandem aufgedrängt und unter die Nase gerieben?
Und wenn man versucht, eine monoamore Person zur Polyamorie zu bekehren, nur um sie ins Bett zu kriegen, muss man echt ein Arschloch sein, aber dazu kommen wir noch unter Ziffer 4.

3. Es gibt so etwas wie „zu viel Information“

Wissen Sie, für was TKOP* steht? Großartig! Und Ihr Arbeitskollege? Auch? Weil Sie es ihm gesagt haben? Ja? Er hat nicht danach gefragt, oder? Nein. DA HABEN SIE EINEN FEHLER GEMACHT.

Es ist großartig, mit jemandem, dem man nahe steht, über Sex und Beziehungen reden zu können. Diese Themen sind wirklich toll, vor allem die tabuisierten Dinge, von denen die Gesellschaft uns gelehrt hat, haha, dass nicht darüber gesprochen werden kann. Es fühlt sich gut an, sich von den Hemmungen, die uns die Gesellschaft auferlegt, zu befreien, vor allem, wenn diese Hemmungen uns in der Vergangenheit Schmerzen oder Unwohlsein verursacht haben.

Aber die Sache mit Sex und Liebe ist, dass dieser Themenbereich mit der menschlichen Psyche in einer einzigartigen Weise interagiert. Was für Sie ein vergnügliches und angenehmes Thema wäre, könnte sehr unangenehm für andere sein, und für einige sogar geradezu traumatisch. Ein Opfer von sexuellen Übergriffen, Belästigungen oder Stalking würde wahrscheinlich lieber gar nichts über Ihr Sexleben hören wollen.
Nicht sicher? Nachprüfen! Wenn Sie einen Satz beginnen mit „Das ist jetzt wahrscheinlich zu viel Information …“ und dann nicht weitermachen mit „Würden Sie es vorziehen, dass ich aufhöre zu reden?“ sind Sie wahrscheinlich dabei, einen Fehler zu machen. Sie müssen sicherstellen, dass das, was Sie zu sagen haben, gut aufgenommen wird, bevor Sie es sagen, und eine verbale Bestätigung ist der einzig wirklich sichere Weg, es zu tun.
Noch gefährlicher sind unangebrachte Selbstoffenbarungen als Flirt-Technik. Nennen wir diese Methode den „Carlos Danger“.
Um es einfacher zu machen, habe ich mal eine Liste erstellt von allen Gelegenheiten, bei denen es angebracht ist, jemandem sexuell freizügiges Material zu schicken oder sexuelle Fantasien mitzuteilen:

1. Wenn Sie gebeten werden, dies zu tun.

… das wars.

Dieses Thema leitet wunderbar über zu:

4. Machen Sie keine Annahmen, auch bekannt als: Nicht jeder will Ihren Schwanz

Es ist mir völlig schleierhaft, wie Menschen, die ein Minderheiten-Beziehungsmodell leben, guten Gewissens solche Annahmen machen können, aber es ist erschreckend üblich unter Polys, dass sie zu wissen glauben, was andere Menschen mögen und wollen.
Ich bekam den Vorschlag, diesen Abschnitt geschlechterneutral formulieren, aber seien wir ehrlich: da sind nicht alle gleich. Ich zeige daher mit Absicht auf die weißen cis** hetero Poly-Männer. Weiße cis hetero Poly-Männer mit IT-Abschlüssen, die von reddit hierher gelinkt wurden und einfach nur für eine Minute des Teufels Advokat spielen wollen.
Die häufigste und widerlichste Annahme, die Polys machen, ist, dass jeder andere Poly für Dates mit Ihnen verfügbar ist, und auch welche will. Was dann folgt, ist dass sie vorgeben, superinteressiert am Job oder Hobby oder was auch immer der anderen Person zu sein, weil sie dadurch zu Sex kommen. Das ist nicht cool.

Eine weitere häufige Annahme ist, dass alle anderen polyamoren Modelle genau wie das eigene sind. Das ist absolut verblüffend, weil keine zwei polyamoren Partnerschaften genau die gleichen sind, selbst diejenigen nicht, die ganz ähnliche Modelle verwenden. Jeder Mensch hat Bereiche, die er sich selbst und seinen Partnern vorbehält, und es stünde Ihnen gut zu Gesicht, herauszufinden, welche das sind, wenn Sie behaupten, dass Sie etwas über diese Beziehungen wissen würden.

Hier sind noch ein paar „nette“ Annahmen, von denen man oft hört:

• Alle Polys haben ungewöhnliche sexuelle Vorlieben!
• Alle Menschen mit ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben sind poly.
• Alle Poly-Frauen sind submissiv.
• Asexuelle Menschen haben einfach noch nicht den richtigen (Penis) gefunden.
• Mono-Poly-Beziehungen sind unmöglich!
• Alle Trans*-Menschen sind bi.
• Swinger sind oberflächliche Menschen.
• Mein Beitrag zu diesem Gespräch ist extrem wichtig.
• Jeder liebt Speck.

Sorry, ich bin ein bisschen vom Thema abgeschweift. Aber solche Annahmen regen mich echt auf.

5. Sprechen Sie auch mal über etwas anderes

Weiß eigentlich irgendjemand wirklich, was bei Polytreffen passiert? Ich war schon bei ungefähr vieren und sie waren alle totsterbenslangweilig.
Der Punkt ist, dass es vielleicht nicht so interessant für andere Leute ist, etwas über Polyamorie zu hören, wie es für Sie ist, darüber zu sprechen.
Lassen Sie mich eine Analogie für Sie machen, für Polys, die wirklich gerne über Polyamorie sprechen. Haben Sie sich schon einmal anhören müssen, wie jemand eine wirklich detaillierte Beschreibung eines Traumes wiedergegeben hat? Nun stellen Sie sich vor , dass es ein immer wiederkehrender Traum ist, der jede Nacht auftritt, und jemand will buchstäblich jedes Mal davon erzählen, wenn man sich mal zum Kaffee trifft. Sie werden Resi die sprechende Riesenheuschrecke und ihr blödes Casino wirklich schnell satt bekommen.
Die Sache ist, dass andere Menschen weder je den Sex haben werden, die Sie haben, noch diesen supertollen Hormonrausch durchleben werden, in den Sie Ihre Liebesabenteuer stürzen, und das macht Ihre Großtaten für andere viel weniger interessant als für Sie.
Fügen wir noch hinzu, dass Ihre Beziehungen nicht queerer, radikaler oder interessanter sind, nur weil Sie mehr als eine haben. Ihre Polyamorie ist nicht relevant für jede Diskussion über Sex, Beziehungen, oder allem außerhalb des Mainstreams. Sie sind weder Beziehungs-Guru, nur weil Sie eine Nicht-Mainstream-Beziehung haben, noch gehören Sie einer unterdrückten Minderheit an.
Es ist eine wertvolle Fähigkeit, einschätzen zu können, ob ein Thema Ihren Gesprächspartner mitreißt. In diesem Kontext bedeutet das oft, abzuschätzen, wann man aufhören sollte, Geschichten darüber zu erzählen, wie herrlich verwirrt der Arbeitskollege des festen Freundes Ihrer Frau war, als er die beiden zusammen sah. Köstlich, sein Gesichtsausdruck! Sind Monos nicht merkwürdig … arrrg, halt die Klappe!

6. Regen Sie sich verdammt noch mal wieder ab!

Ich weiß. Es ist so unerträglich aufregend. Sie sind mit mehreren Personen liiert und sie sind alle damit einverstanden! Das ist so überwältigend, dass Sie einen Sprint an die Spitze des höchsten Hügels machen, sich die Kleidung vom Leib reißen, und Ihre anthropomorphen Genitalien das glücklichste Lied der Welt singen lassen könnten.
Umgekehrt, wenn Sie Spannungen zwischen Ihren Partnern erleben oder Ihr Haussegen schief hängt, oder Sie gerade mehrere Trennungen durchgemacht haben und nicht die Unterstützung bekamen, die Sie gebraucht hätten, ist das so ziemlich das Schlimmste, was man sich vorstellen kann und ganz ehrlich, Sie haben mein vollstes Mitgefühl.
Bei manchen Menschen scheinen Poly-Prahlerei und Poly-Dramen irgendwie … überdimensioniert zu sein. Wenn Polys meinen, egal unter welchem Druck sie stehen, herumposaunen zu müssen, wie toll Polyamorie ist, sehen sie auch die Notwendigkeit, wirklich wütend auf sich selbst zu sein, wenn eine Beziehungen nicht gut läuft. Manchmal frage ich mich, ob der Ursprung dieses Verhalten durch das Gefühl entsteht, ein „Poly-Repräsentant“ zu sein und alles immer richtig machen zu müssen. Sowas geht selten gut aus.
Wir täten gut daran, nicht zu vergessen, dass die meisten Beziehungen aufregend sind, die meisten Beziehungen enden, und die meisten Trennungen traurig sind. Das ist nicht nur bei Polyamorie so. Monos werden Ihre Gefühle über diese Dinge verstehen, ohne dass Sie sie endlos wiederholen müssten. Zwar wird es immer einige Leute geben, die aufgrund einer gescheiterter Poly-Beziehung lautstark behaupten, dass Polyamorie eben nicht funktionieren kann, aber die sind nicht repräsentativ. Ihre monoamoren Freunde werden Sie verstehen.
Ich denke, sich ums Verrecken nicht abregen zu können, fußt oft auf Verunsicherung. Aus Angst vor Versagen oder Stagnation muss vielleicht alles ein großes verdammtes Ding sein, das hilft aber leider kaum je irgendwem. Halten Sie die Augen offen, bleiben Sie in Kommunikation miteinander und werden Sie unterwegs besser. Behandeln Sie sich selbst so, wie Sie Ihre Partner behandeln. Lieben Sie sich selbst, verzeihen Sie sich und machen Sie keinen verdammten Elefanten aus jeder Kleinigkeit.
Weil, verdammt noch mal, es ist doch nur Polyamorie.


* „That Kind Of Party“= Sexparty. Wird wie „teacup“ ausgesprochen.

** cis(gender) ist das Gegenteil von transgender, hier also Männer, die biologisch männlich geboren wurden und sich als Männer fühlen.