Das Problem mit der Polynormativität

Oktober 9th, 2013

Übersetzung des englischen Texts „the problem with polynormativityvon Andrea Zanin durch Bettina, Tom und Rainer vom Berliner PolyTreff mit kleinen sprachlichen Anpassungen von cloudy.

Das Problem mit der Polynormativität

Polyamorie erhält dieser Tage eine Menge Sendezeit in den Medien. Das
ist wirklich ziemlich bemerkenswert und stellt eine große Veränderung in
den letzten fünf bis zehn Jahren dar.

Das Problem – und das ist kaum verwunderlich – ist, dass die Art von
Poly, die bei weitem die meiste Sendezeit erhält, diejenige ist, die der
traditionellen Zweierbeziehung am nächsten kommt, weil sie die herrschende
Sozialordnung am wenigsten bedroht.

Vor zehn Jahren, denke ich, war meine Haltung eher ein
Leben-und-leben-lassen. Du weißt schon, andere Länder, andere Sitten…
Ich lebe Poly auf meine Weise, Du lebst es auf Deine, und wir alle tun
etwas Nicht-Mono-artiges, das wir als etwas von der Norm Abweichendes und
einander Verbindendes betrachten können. Wir teilen eine gewisse Art der
Unterdrückung insofern, als die Welt Nicht-Monos nicht anerkennt
oder wertschätzt. Wir teilen Beziehungsfragen wie logistische
Herausforderungen, Zeitmanagement und Eifersucht. Also sitzen wir alle
in einem Boot, oder?

Heute jedoch bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich viel stärkere
Gefühle diesbezüglich habe. Ich meine Gefühle ernsthafter Ablehnung
gegenüber dem Konzept, nicht nur des YKINMKBYKIOK*. Gefühle echter
Verärgerung statt solche der Kameradschaft. Ich denke, wir handeln
grundsätzlich radikal verschieden. Die Poly-Bewegung – wenn sie denn als
eine solche bezeichnet werden kann, was aus einer Reihe von Gründen
fraglich ist – beginnt präzise an denselben Linien zu zerbrechen wie die
Schwulen/Lesben/Queer-Bewegung. (Man könnte argumentieren, das wäre
schon immer so gewesen, aber es schien mir nicht immer so glasklar zu
sein wie jetzt.)

(* Steht für: „Deine Macke ist nicht meine, aber deine ist ok“, eine
übliche Redewendung zwischen Anormalen, um auszudrücken, dass man etwas
nicht mögen muss, um es zu akzeptieren.)

Im Grunde würde ich sagen, das Polykonzept einiger Leute sieht für den
Mainstream gut aus, das anderer jedoch nicht. Der Mainstream sieht sich
gerne herausfordernd, sexy und cool. Der Mainstream übernimmt gern jeden
frischen Trend, um sich selbst davon zu überzeugen, dass er etwas Neues
und Aufregendes tut, denn das steigert den Umsatz von Zeitschriften,
Veranstaltungstickets, was auch immer. Der Mainstream tut dies gerne,
wohingegen er so viele Barrieren wie möglich gegen grundsätzliche
Wertewechsel errichtet, die die Struktur der Funktionsweise der Welt
stürzen könnten. In diesem Fall ist diese Struktur die des Primats des
Paares.

Die Medien präsentieren klare Poly-Normen und überwältigende Beispiele
polyamorer Menschen, die innerhalb dieser Normen Polyamorie leben und
darüber sprechen. Das bezeichne ich als Polynormativität. (Ich glaube
nicht, dass ich hier gerade einen Begriff präge, aber ich bin nicht weit
weg davon, weil die meisten der siebenhundert armseligen Google-Hits,
die ich finden konnte, Juristenjargon waren, den ich nicht verstehe.
Ehrlich gesagt wünschte ich mir, es gäbe den Begriff schon. Also, ähm…
dies ist mein Geschenk an Dich.)

Hier sind die vier Normen, die Polynormativität prägen, so wie ich es sehe:

1. Polyamorie beginnt mit einem Paar. Das erste Mal, als ich den
Begriff „Polypaar“ hörte, lachte ich laut auf. Es schien mir das
offensichtlichste aller Oxymorone – Jumbo-Garnelen, friendly fire, feste
Schätzung, Polypaar. Aber siehe da, es hat wirklich Wurzeln geschlagen,
und niemand scheint etwas zu merken. Polyamorie wird dargestellt als
Angelegenheit eines Paares, im Gegensatz zu einer Beziehungsphilosophie
und –herangehensweise, die einem einzelnen Menschen zugerechnet wird,
der in der Folge am Ende Teil eines Paares, aber – weil poly! –
möglicherweise genauso gut mit sechs Leuten verpartnert sein kann, oder
Teil einer Triade oder Single oder was auch immer. Mit dieser Norm
nähert sich die ganze Prämisse von Mehrfachbeziehungen an etwas an, das
im Wesentlichen klingt wie das Hobby eines traditionell verbundenen
Paares, wie Tanzen oder Skifahren. So viel zum radikalen Neudenken
zwischenmenschlicher Beziehungen. So viel für alle, die der Sache
unvorbereitet als Single begegnen.

2. Polyamorie ist hierarchisch aufgebaut. Ausgehend von der Norm, dass
Polyamorie mit zweien beginnt (und vermutlich endet), müssen wir allem
Folgenden selbstverständlich eine Hierarchie zuerkennen. Wie sonst
würden wir wissen, wer aktuell das wirkliche Paar ist? Fügst Du noch
mehr Personen hinzu, könnte es unscharf und verwirrend werden! So
entsteht die Idee der primären und sekundären Beziehungen. Das ist, was
ich hierarchische Polyamorie nenne.

“Primary“ beinhaltet: allerwichtigste Bedeutung. „Secondary“ meint:
weniger wichtige Bedeutung. In diesem Modell ist es selbstverständlich,
dass die Gefühle einer Person vor denen einer anderen stehen. Lass mich
das noch einmal sagen: Es ist völlig normal, wird sogar erwartet, dass
die Gefühle, Schmerzen und Meinungen einer Person mehr bedeuten als die
einer anderen. Es ist normal, dass eine Person erster Klasse fliegt, und
die andere zweiter Klasse – eine Selbstverständlichkeit, die allein auf
ihrem jeweiligen Status basiert. Und wir denken, das ist fortschrittlich?

Sebstverständlich wirkt sich das in unterschiedlichen Situationen
unterschiedlich aus. Dieses Modell funktioniert eher relativ gut, wenn
die Beteiligten superfreundlich, rücksichtsvoll, ausgeglichen, emotional
gefestigt und großzügig sind, und eher weniger gut, wenn die Beteiligten
gemein, rücksichtslos, unausgeglichen, unsicher oder egoistisch sind. Es
ist ein bisschen wie zu versuchen, den Job in einer Rezession zu
behalten, je nachdem, ob Dein Chef ein netter Mensch oder vorwiegend am
Betriebsergebnis interessiert ist. So oder so sorgt diese Struktur
dafür, dass Secondaries vom guten Willen der Primaries abhängig sind,
und dass sie nicht viel zu sagen haben.
Genau so entstanden Dinge wie der (umstrittene!) Vorschlag einer „Bill
of Rights“ für Secondaries von Franklin Veaux oder ein kürzlich
erschienener Beitrag, der sich wie ein Lauffeuer verbreitete und
skizzierte, wie man mit nicht-primären Partnern gut umgeht (wohlgemerkt:
das sind keine Mainstream-Artikel). Diese Beiträge verursachen mir
Brechreiz. Nicht, weil der Inhalt falsch wäre, sondern – laut den
Secondaries, die genau diejenigen sind, denen wir hier zuhören sollten –
weil es bedeutet, dass einer Reihe polyamorer Leute gesagt werden muss,
wie sie andere Menschen nicht wie kompletten Abfall behandeln. Diese
Beiträge sind Crash-Kurse in grundlegendem menschlichem Anstand. Dass
sie auch nur im Entferntesten notwendig sind, um nicht zu sagen extrem
verbreitet, ist wirklich verdammt beunruhigend.

Ich möchte einen Moment in eine Notiz zur Terminilogie abschweifen. Ich
habe ein ernsthaftes Problem mit Definitionen von „Primary“, die so
lauten wie: „Die Primärbeziehung ist, wenn Ihr zusammen lebt, Kinder
habt, gemeinsam wirtschaftet, etc.“ Nein. Falsch. Ablehnung. Das ist
eine zutieftst fehlerhafte Definition. Jedes der Elemente in dieser Art
der Definition von „Primary“ kann ebenso leicht auf eine Beziehung
angewendet werden, die nicht primär ist, oder die in diesem Sinne nicht
romantisch oder sexuell ist. Menschen können mit einem Mitbewohner
leben, mit einem platonischen Lebenspartner das Geld teilen, Kinder mit
einem Ex haben, mit dem sie nie sprechen, und auf der anderen Seite kann
eine Person eine andere als Primärpartner sehen, auch ohne ein
gemeinsames Leben, Wirtschaften oder Kinder mit ihm zu haben. „Primary“
und „Secondary“ betreffen ein hierarchisches Beziehungsmodell, nicht die
spezifischen Lebensumstände.

„Primary“ und „Secondary“ sind nicht besonders vieldeutig, soweit es um
die Ausdrucksweise geht. In diesem Sinne richte ich ein Plädoyer an alle
Poly-Leute: wenn es nicht eure Absicht ist, eine Hierarchie zu schaffen
oder anzudeuten, verwendet nicht „Primary“ oder „Secondary“ als
Kurzform. Viele von euch sind Aussenseiter, so dass Genauigkeit euch
wichtig sein muss, richtig? Seht es so, als wolltet ihr nicht Star Trek
und Star Wars oder Mac und PC vermengen. Sprecht anstelle von „Primary“
von eurem Partner zu Hause, eurem langfristigen Partner, dem Menschen
mit dem ihr am meisten Zeit verbringt, eurem Ehemann oder eurer Ehefrau
– was gerade zutrifft. Anstelle von „Secondary“ nennt es
Gelegenheitsdate oder –lover, eurer Freund oder eure Freundin, geheimen
Liebhaber, eure jährliche Langzeit-Affäre, eure neue Flamme, oder
andere Begriffe, die erklären, was läuft. Nichts hiervon ist
hierarchisch. Es beschreibt nur die Beziehung. (Ich werde meine
Schimpftirade darüber verschieben, dass manche Leute denken, dass
„Ehemann“ und „Ehefrau“ realer seien als „Partner“, „Freund“ oder
„Freundin“.) Andererseits soltet Ihr „Primary“ und „Secondary“ nicht
vermeiden, um weniger hierarchisch zu entscheiden, wenn Ihr
Beziehungsentscheidungen weiterhin strikt hierarchisch trefft. Kein
Etikettenschwindel in irgeneiner Richtung, ok?

Lasst mich meine Position hier auf jeden Fall klarstellen. Es ist nichts
falsch an ernsthaften, langfristig verpflichteten häuslichen
Partnerschaften. Es ist auch nichts Falsches an gelegentlichem Dating,
oder daran, gelegentlich schöne Stunden mit einem Süßen zu genießen,
wenn der viel mehr Zeit mit seinem Partner verbringt. Manchmal ist eine
Beziehung nicht dafür vorgesehen, langfristig, häuslich oder in der Nähe
zu sein, oder sich mit den Eltern des jeweils anderen zu treffen. Das
ist keine schlechte Sache. Es ist nur ein Fakt. Es ist ferner nicht das
Gleiche wie „Secondary“ zu sein. Ich spiele hier nicht mit
Wortbedeutungen. Ich spreche über Rahmenbedingungen für den Blick auf
Beziehungen, Entscheidungsfindungen, dem Aufstellen von Regeln – mehr
dazu im nächsten Punkt -, und den Umgang mit echten, lebenden Menschen.

3. Polyamorie erfordert eine Menge an Regeln. Wenn wir von einem Paar
ausgehen und es weiterhin als „Primary“ und alles darum herum als „Secondary“
festlegen wollen, nun, dann müssen wir uns eine Reihe von Regeln
ausdenken, um sicherzustellen, dass alles plangemäß verläuft, richtig?
Richtig. (Und da ist ziemlich sicher ein Plan.)

Das ist ein kontrollbasierter Ansatz zur Polyamorie, der, wiewohl nicht
exklusiv für paarbasierte Primary-Secondary-Modelle, so doch schier
unvermeidlich in ihnen ist.

Regeln werden implizit von den „Primaries“, dem „Poly-Paar“ festgelegt –
das ist wenigstens die Art, wie sie sich die meisten Regeldiskussionen
darstellen. Manche Bücher und Webseiten wollen dir erzählen, („du“ ist
mutmaßlich ein Teil eines gegenwärtig mono aufgestellten auf dem Weg zum
Poly-Paar), dass es wirklich superwichtig ist, nicht nur Regeln zu
haben, sondern ausdrücklich zu formulieren, bevor Ihr rausgeht und das
Polyding lebt. Wann immer Du eine Bestätigung für einen klaren
Secondary-Status der „Secondary“-Partner suchst, das ist er: die Regeln
wurden festgesetzt, bevor sie auch nur aufgetaucht sind und dabei dann
auch nichts zu melden haben. Nochmal… denken wir, das sei fortschrittlich?

Hier ist der Knackpunkt. Regeln verhalten sich entgegengesetzt zu
Vertrauen. Sie beabsichtigen, jemanden an die Prioritäten eines anderen
zu binden. Sie zielen auf Einschränkung ab. Ich beschränke dich, und du
beschränkst mich, dann sind wir beide sicher. Wenn Zwei in ihren Werten
gut zusammenpassen und ein starkes gegenseitiges Vertrauen haben,
brauchen sie keine Regeln um zu wissen, wie jeder von ihnen sich
verhalten wird. Ich meine, wie oft hört ihr „ich werde nicht zustimmen,
dass jemand getötet wird, wenn du zustimmst, dass niemand getötet wird,
ok? Das soll unsere Regel sein. Nicht töten.“ Natürlich nicht mit
Psychopathen dabei, das muss nicht erwähnt werden; wir können davon
ausgehen, dass jeder den Wert teilt: “Menschen zu töten ist schlecht,
und ich werde es nicht tun.“ Aber es ist nicht das kleinste bisschen
ungewöhnlich für „Polypaare“, ein ausgearbeitetes Regelwerk zu
erschaffen, das sie streng bindet, sich nur so zu verhalten, dass es
nicht Angst erregend, gefährlich und die Hauptbeziehung bedrohend ist.
Wir küssen niemanden, bevor wir einander nicht gefragt haben. Keine
Übernachtungen woanders. Wenn du sie mehr als dreimal sehen möchtest,
muss ich sie sehen. Wenn Du sie mehr als dreimal sehen möchtest, erzähl’
mir nichts, es ist zuviel für mich, damit umzugehen. Keine Verliebtheit
(das lässt mich durchdrehen in seiner schieren Absurdität). Liebe ist
okay, wenn Du ihn weniger liebst als mich. Analsex nur mit mir. Analsex
nur mit anderen. Du darfst nur genauso viele Dates haben wie ich. Ihr
geht nicht in unser Lieblingsrestaurant. Kein Schlafen in unserem Bett.
Um 23 Uhr schreibst Du mir eine SMS. Ich muss dich anrufen, wenn ich von
ihr aufbreche. Und die Krönung, der heilige Gral der Poly-Regeln: Wir
haben ein Vetorecht! (Ich habe einen eigenen Beitrag darüber, „Against
the Veto“, in dem ich genau darlege, warum Vetorechte eine faule Idee
sind.) Die Krux: Secondaries sind zweitrangig, so sehr zweitrangig, dass
eine Person, mit der sie nichtmal verpartnert sind, entscheiden kann, ob
und wann sie rausgeworfen werden.

Wenn wirklich Gefahr im Spiel ist, bin ich sehr für Regeln. Die Regel,
dass man mindestens 1,60 groß sein muss, um mit dieser Achterbahn zu
fahren, dass man einen Schein braucht, um als Neurochirurg zu
arbeiten… keinen ungeschütztem Analverkehr mit Fremden (beachte, dass
diese Art von Regel nicht das Paar, sondern den Schutz deiner eigenen
kostbaren Gesundheit betrifft! ) … bei dieser Veranstaltung nicht mit
Feuer spielen, da die Decken niedrig und mit Luftschlangen behangen
sind. Aber umfangreiche Reglen um Polyamorie sind im Wesentlichen, als
wenn man sagte, dass Liebe (oder Sex oder Flirts) gefährlich seien und
strengstens geregelt werden müssten, damit niemand zu Schaden kommt. Aus
meiner Sicht ist dies ist eine sehr seltsame Art der Annäherung an die
Möglichkeit großer Freude und menschlicher Verbindung – als ob es eine
Bombe wäre, die explodieren würde, wenn man sie nicht mit strikten
Sicherheitsmassnahmen behandelte. Je mehr Regeln du einbringst, desto
mehr weist du darauf hin, dass du kein Vertrauen in die Person setzt,
dieser Regeln ungeachtet rücksichtsvoll und gemäß der gemeinsamen Werte
zu handeln, die euch beiden am Herzen liegen. Oder umgekehrt, du zeigst,
dass du unter strenger Aufsicht sein musst, weil du sonst auf das
Wohlbefinden deines Partners scheißen würdest. Wenn du ein Gesetz
erlassen musst, heisst das, dass du nicht nicht erwartest, dass es ohne
Gesetzgebung passieren würde. Dies ist ein trauriger Stand der Dinge für
eine Sache, die angeblich eine liebevolle, möglicherweise langfristige
Beziehung sein soll.

Sind Regeln nie eine gute Sache? Ich würde nicht so weit gehen. Sie
können ein notwendiges Übel sein, eine vorübergehende Maßnahme, um euch
durch eine harte Zeit zu bringen, in der ihr hoffentlich an einer
besseren Lösung arbeitet. Was ihr tut, nicht wahr? Gerade jetzt.
Richtig? Aus einem völlig anderen Blickwinkel können Regeln angenehm
sein oder erotisch (etc.) aufgeladen, wie in einer D/S oder M/S
Beziehung , obwohl diese natürlich auch, wenn aus Angst verhängt oder
als ein Weg, Strafe zu vermeiden, eine Form der unethischen Bindung sein
kann, um den Unsicherheiten einer Person Einhalt zu gebieten auf Kosten
einer anderen. Aber abgesehen von diesen sehr spezifischen und
umschriebenen Fällen sind Regeln am besten, wenn sie recht sparsam
verwendet werden und auch dann nur, wenn andere Lösungen nicht verfügbar
sind.

Von welchen anderen Lösungen rede ich? Vertrauen. Schlicht und
einfach. Vertrauen ist der Boden, auf dem Polyamorie wachsen sollte,
ähnlich wie jede andere Art von Liebe. Sag, was du meinst, immer und
alles. Folge deinen Verpflichtungen. Mach keine Versprechungen, die du
nicht halten kannst. Gehe immer von der positiven Absicht aus. Stelle
Fragen. Zuhören, zuhören, zuhören. Stelle mehr Fragen und höre noch
mehr zu. Beruhige Ängste. Arbeite an deinen eigenen Unsicherheiten an
dem Ort, von dem sie ausgehen – innerhalb deiner selbst. Sei freundlich.
Sei konsequent. Sei großzügig. Stehe explizit für das ein, was du
willst. Sag deutlich, was du brauchst. Entschuldige dich, wenn du etwas
vermasselt habst, und versuche, es zu beheben. Finde Strategien, deine
Schwächen zu kompensieren, wie Vergesslichkeit oder Angst oder Mangel an
emotionalem Vokabular oder was sonst im Weg steht, all dies geschickt zu
lösen. Ja, das wird eine Menge Arbeit sein. Tue es trotzdem. Noch besser
wäre es, wenn du es tust, weil die Arbeit selbst Freude bringt und dich
fühlen lässt, wie du dich durch die Welt bewegst in einer Weise, die
zutiefst richtig ist. Wenn du an einem Punkt Chaos erzeugt hast, und es
deine(n) Partner verletzt hat, versuche es zu heilen. Macht die Arbeit
zusammen. Holt euch Paartherapie. Übt neue Kommunikationsfähigkeiten
zusammen ein. Investiert Zeit, Energie und Mühe, um den Boden gesund und
nahrhaft zu machen, anstatt in Zäune rund um den Garten zu investieren.

Von dort aus kannst du alle Arten von Verhaltensweisen verlangen, ohne
dass es Regeln sein müssen. Du könntest sagen: „Ich bin wirklich daran
interessiert, Deinen neuen Liebhaber kennenzulernen! Können wir uns
nächste Woche zum Tee treffen?“ oder „Hey, kannst mir ’ne SMS schicken,
wenn du auf dem Weg nach Hause bist, damit ich weiß, wann ich das
Abendessen bereitstellen soll?“ oder „Es würde mir Freude machen und
ich würde mich als etwas Besonderes fühlen, wenn wir eine Marke Wein
hätten, die nur wir miteinander trinken würden“ oder sogar: „Ich habe
Angst, dich zu verlieren und ich brauche eine gewisse Sicherheit.“ Auch
dies ist nicht nur Semantik. Diese anderen Formen der Beziehung sind
nicht „nur wie Regeln.“ Sie sind Großzügigkeit und Freude und
Achtsamkeit, nicht Kontrolle und Grenzen und Angst. Was hier zählt, ist
die Absicht.

4. Polyamorie ist heterosexuell(artig). Auch niedlich und jung und
weiß. Ebenfalls neu und spannend und sexy! Dieses Element der
Polynormativität bezieht sich nicht direkt auf die anderen drei, aber da
wir hier über die Darstellung in den Medien reden, lohnt es sich, dies
zu erwähnen. Polyamorie wird in den Medien entschieden vorgestellt als
etwas, das Heterosexuelle tun, außer manchmal noch bisexuelle Frauen,
die einen primären männlichen Partner haben und sekundäre weibliche
Partner. Es ist äußerst selten, dass lesbische, schwule oder queere
Poly-Konfigurationen in Mainstream-Darstellungen von Polyamory
aufgenommen werden, obwohl LGBQ*-Kreise absolute Brutstätten von
polyamoren Aktivität sind, und LGBQ-Menschen eine lange und
ruhmreiche Geschichte der Nicht-Mono-Beziehungen haben, der jüngsten
Begeisterung für die Ehe zum Trotz. An beinahe jedem LGBQ Sammelplatz
selbst ist der Mainstream zu Hause – und man kann auf kleinstem Raum
mindestens ein halbes Dutzend Menschen treffen, die eine Art von Nicht-
Mono-Beziehungen praktizieren, von regelmäßigen
Badehaus-Abenteuern bis hin zu kompletten Poly-Familien. Es ist so
verbreitet, dass es sich normal anfühlt.
(*Steht für: Lesbian, gay, bisexual, queer)

Aber wenn die Mainstream-Medien zu viele Kolumnen zu LGBQ Polyamorie
bringen würden, dann würden die Menschen vielleicht denken, Poly sei
eine Homosexuellen-Sache, und das wäre nicht annähernd so gut zu
verkaufen. Also der typische polynormative Hype-Artikel geht ungefähr
so: „Lernen Sie Bob und Sue kennen. Sie sind ein Poly-Paar. Sie sind
primäre Partner und sie treffen sich gemeinsam mit anderen Frauen.“
Oder: „sie beide treffen Frauen nebenbei“ oder „sie veranstalten
Sex-Partys in ihrem Keller “ oder manchmal, wenn auch seltener, „Bob
trifft Frauen und Sue andere Männer.“ Mainstream-Darstellungen brechen
selten die „ein Penis pro Party“-Regel, und das ist genau so
beleidigend, wie es sich anhört. Sie hören nie davon, wie sich Bob mit
Dave oder Sue mit Tim und Jim und John trifft, während Bob zu Hause
bleibt und einen Film schaut. Weil – boa! Das geht ja wirklich zu weit.
Ich meine, das Spiel mit Frauen ist eine Sache, aber wenn man ihm einen
zweiten Mann vorsetzt, müssen dann nicht die beiden Jungs – wie sagt man
– es unter sich ausfechten? Beweisen, wer männlicher ist? Wegen der
Evolutionspsychologie! Wegen der Natur! Denn wenn ein Penis (und nur ein
Penis) beteiligt ist, ist das echter Sex, und das bedeutet eine echte
Beziehung, und wir müssen eine echte Beziehung haben, damit es eine
Primary-Secondary-Struktur gibt, und wir müssen eine
Primary-Secondary-Struktur haben, um ein Poly-Paar zu sein! (Hmm. Also
bezieht sich dieser Punkt am Ende vielleicht doch auf meine anderen drei
Punkte.)

All dies schafft eine Situation, wo Polyamorie als hipper neuer Trend
vorgestellt wird, den junge, hippe Heteros ausprobieren, und Junge,
Junge, wie stolz sie darauf sind! Unnötig zu sagen, dass all dies von
Ahnungslosigkeit Schwule betreffend bis hin zu geradezu beleidigend
variiert.

Die Mainstream-Medien haben den Wunsch, Bilder von Menschen zu zeigen,
die poly, niedlich, jung und weiß sind, und wir bekommen immer ein sehr
begrenztes Bild. Die Zeitschriften wollen Leute präsentieren, die auf
konventionelle Weise so attraktiv wie möglich sind, zwischen 20 und 40
Jahre alt, und so gut wie nie anderen als der kaukasischen Rasse
zugehörig (es sei denn, sie sind Farbige, die, du weißt schon, wirklich
exotisch und sexy sind, wie Schwarze voller Glut, oder wunderschöne
asiatische Frauen). Das ist eine Schande, weil die Geschichten von
Menschen, die in ihren 60ern und 70ern sind, ganz erstaunlich anzuhören
wären. Und nein, nicht alle Polys sind weiß, aber wenn „weiß“ das
einzige Bild ist, das die Leute von Poly sehen, schafft dies sicherlich
eine Barriere, die Farbige entmutigt, sich als potentielle Polys zu
betrachten.

Die Medien sind auch höchst interessiert am „sexy“ Faktor. Die starke
Wirkung, die die Kamera-Freundlichkeit einer bestimmten Person auf die
Bereitschaft der Medien hat, diese zu präsentieren, darf nicht
unterschätzt werden. Und damit kommt der Zwang, so viel wie möglich zu
sexualisieren. Ich werde zum Beispiel nie vergessen, was geschah, als
ich vor etwa zehn Jahren im Châtelaine-Magazin mit einem Partner
vorgestellt wurde. Der Fotograf übte ziemlichen Druck auf mich aus, für
die Aufnahmen mein Top auszuziehen und versicherte mir dabei, das wäre
geschmackvoll. Als ich ihn fragte, warum er einen Blickwinkel wähle, der
Haut zeige, antwortete er: „ Weil du nicht häßlich bist. Es ist wirklich
schwierig, Leute zu fotografieren, die häßlich sind.“ Ähm, danke? Meine
Bluse blieb zu, aber, offensichtlich jung, weiß und niedlich, waren wir
immer noch das Ereignis des Tages, denn sie räumten meinem Bild immer
noch mehr Platz ein als den anderen Leuten, die in dem Artikel
vorgestellt wurden. Du weißt schon, den „Häßlichen“. Igitt.

Versteh mich nicht falsch. Sex und Anziehung sind erhebliche Kräfte in
Poly-Beziehungen. Dagegen ist nichts zu sagen, und ich sehe keine
Notwendigkeit, dir all dies „es geht nicht um den Sex“ zuzumuten. Es
geht um den Sex, zumindest für die meisten von uns. Aber es geht nicht
nur um den Sex. Ginge es nur um den Sex, wäre es nicht Polyamorie – es
wäre in der Gegend herumschlafen, was prima ist, aber in der Regel nicht
verpflichtend und romantisch. Wenn es nie um Sex ginge, wäre es
ebenfalls nicht Polyamorie – wir wären nur ein paar Freunde, was ebenso
prima ist, aber in der Regel ebenso wenig romantisch, wenn auch
möglicherweise verbindlich. Aber die Medien sind wirklich schlecht im
Wahren dieser Balance. Der Mainstream ist eher an Orgien interessiert,
daran, wer mit wem und wie oft schläft, und Wow! Dreier! Und habe ich
erwähnt, jung, niedlich und weiß?

Diese Artikel versuchen uns eine Fantasie von konventionell gut
aussehenden Leuten zu präsentieren, mit leckerem transgressivem (aber
nicht beängstigend transgressivem) Sex, während sie so dicht wie unter
diesen Umständen nur menschenmöglich innerhalb der Grenzen konventionell
paar-basierter Beziehungsgebilde bleiben. Diese Fantasie verkauft sich.
Das tut dem Rest von uns keinen Gefallen.

– Ich füge nun (eine Woche nach dem ursprünglichen Beitrag) diesen
Abschnitt hinzu, weil jetzt ein paar Leute die Frage aufgeworfen haben,
warum ich die Abkürzung LGBQ ohne das T für transgender/transsexuell
benutzt habe. Beim Versuch, meinen Blick eng auf das Thema
„Polynormativität“ als der medialen Darstellung eines bestimmten
Beziehungsmodells zu richten, und auf die Probleme sowohl des Modells
als auch seiner Darstellung – wobei „eng“ schon ein bisschen weit
hergeholt ist angesichts der Länge dieses Posts – bin ich nicht auf die
breitere Liste der Wege eingegangen, auf denen Polynormativität andere
Arten der Auslassungen und Normativitäten unterstützt. Diese editorische
Wahl treffend, mag ich selbst verschiedene dieser Auslassungen
fortgesetzt haben. Das verlangt natürlich nach einer Klärung. (Einiges
des nun Folgenden erscheint in den Kommentaren, so dass ihr es
wiederholt sehen werdet, wenn ihr diese auch lest.)

Also gut: ich fühle mich zunehmend unwohl mit der Abkürzung LGBTQ, weil
die Einführung eines T für „Transgender“ (einer geschlechtlichen
Identität) am Ende einer Liste von Buchstaben, die für sexuelle
Orientierungen stehen (nicht für Geschlecht), eine zwangsläufige
Ungenauigkeit in sich trägt. Schwule, Lesben, Bisexuelle und queere
Menschen können trans sein oder nicht-trans, und transsexuelle Menschen
können natürlich schwul, lesbisch, bisexuell oder hetero (und sonst wie)
orientiert sein. Nicht alle Transsexuellen fühlen sich schwuler,
lesbischer, bisexueller oder queerer Politik verbunden, oder den
entsprechenden Gemeinschaften, und nicht alle Menschen mit einer
Geschichte des Übergangs haben das Bedürfnis, sich offen als transgender
zu bezeichnen, selbst dann nicht, wenn sie sich als schwul, lesbisch
oder queer identifizieren. Ich habe kein Problem damit, LGBTQ zu
benutzen, um beispielsweise einer Zeitschrift oder einer Gruppe oder
einem Ausschuss oder was auch immer, den Sachverhalt zu beschreiben,
vorausgesetzt, das Unternehmen dient tatsächlich all den Leuten, die
durch diese Abkürzung repräsentiert werden, statt nur zu versuchen,
besonders progressiv zu wirken. In diesem Beitrag spreche ich über
Orientierung, nicht über Geschlechtsidentität, so dass es sich ungenau
anfühlte (und immer noch ungenau anfühlt), das T in diese spezifische
Liste aufzunehmen.

Aber das bedeutet nicht, dass Trans-Menschen keinen Platz in dieser
Diskussion hätten. Ganz im Gegenteil. Das polynormative Modell setzt
auch Cisnormativität fort, und das auf zweierlei Weise. (Cisnormativität
ist die Idee, dass alle Menschen bei ihrer Geburt einem bestimmten
Geschlecht zugeordnet werden und sich später immer noch mit diesem
Geschlecht identifizieren und im Ergebnis eine „angemessene“
geschlechtliche Identität ausdrücken, und dass alles andere seltsam oder
schlecht ist.) Eine Folge ist das Element der medialen Repräsentation –
Trans-Menschen tauchen in der medialen Repräsentation des Mainstreams
von Polyamorie kaum auf. Das ist Cisnormativität durch Auslassung. Der
andere, komplexere Teil wird deutlich, wenn wir ein wenig tiefer in die
Betrachtung der Regel „Ein Penis pro Party“ einsteigen, und darin, wie
wir sexuelle Orientierung verstehen. „Ein Penis pro Party“ beruht auf
der Idee, dass „Penis“ als Kurzform für „Mann“ verwendet werden kann,
weil Männer immer Penisse haben, und weil nur Männer Penisse haben. Dies
berücksichtigt natürlich nicht die Erfahrungen zahlreicher
Transsexueller, für die Genitalien und Geschlecht nicht übereinstimmen,
sei es, weil sie Männer sind, die nicht mit Penissen geboren wurden,
oder weil sie Frauen sind, bei denen es andersherum war (unabhängig
davon, wie die Genitalien einer Person am jetzigen Punkt ihres Lebens
aussehen, oder welche Worte sie für sie verwenden).

„Ein Penis pro Party“ beruht im weiteren Sinne auch auf der Idee, dass
Männer und Frauen natürlicherweise auf irgendeine essentielle,
grundlegende, biologisch basierte Art voneinander unterschieden sind, so
dass die (in diesem Fall sekundäre) Beziehung mit einem Mann
substanziell anders sein wird als die mit einer Frau, weil eben mit
einem Mann, bzw. anderenfalls, weil eben mit einer Frau. Diese Idee
endet an diesem Punkt, weil sie von vornherein definiert, wie die
Beziehung sein wird – wie „echt“ der Sex sein wird, wie intensiv die
Gefühle überhaupt sein können, und wie „sicher“ es infolgedessen ist,
einem Hauptpartner zu „erlauben“, sich in dieser Beziehung zu
engagieren. Dies gilt nicht für die mögliche Anwesenheit von
Transsexuellen in dieser Gleichung. Aber auch, wenn dieses sich aus
irgendeinem Grund in einer gegebenen Situation nicht verwirklicht,
spricht das für einen Gesichtspunkt, in dem Frauen und Männer
natürlicherweise wegen ihrer Anatomie entweder dies sind oder jenes.
Dies hält, als ein konzeptionelles Modell, Transsexuelle – selbst wenn
du keinen kennst (dies zur Kenntnisnahme!) und auch keine Gelegenheit
hast, einen kennenzulernen – in den Schubladen fest, die ihnen bei ihrer
Geburt zugewiesen wurden. Es impliziert, dass das Geschlecht, zu dem sie
sich entwickelt haben, irgendwie weniger real oder gültig ist. Dies
betrifft auch das weite Spektrum der Leute, die nicht trans sind – ob
cissexuell, oder, wie ich, gender-fluid oder sonst irgendetwas in der
nicht-binären Spannbreite –, festgelegt auf die ihnen bei ihrer Geburt
zugewiesenen Schubladen, darauf bestehend, dass diese Schubladen darüber
bestimmen, wer wir sind, wer wir sein können, wie wir ficken können, und
wie es ist, mit uns romantisch verbunden zu sein. Letztlich verletzt
Cisnormativität jeden. Die Leute enden meist in hohem Maße beschädigt
als diejenigen, die höchstmöglich sichtbar unterscheidbar sind, was oft
Trans-Frauen betrifft. Aber Cisnormativität ist keineswegs „nur“ ein
Trans-Thema. Dies ist ein Thema, um den Raum zu schaffen für alle von
uns, so zu sein, wie wir sein wollen.

Wie jedes normative Modell arbeitet Polynormativität im Zusammenspiel
mit einer Reihe anderer normativer Modelle, um – wenngleich selten
ausdrücklich – in den Köpfen der Menschen ein umfassendes Bild darüber
zu schaffen, wie die Welt funktioniert, darüber, wer zählt, und wer
nicht, darüber, was wirklich ist, und worüber es nicht lohnt sich
Gedanken zu machen. Als solches Bild, zusätzlich zu den Fragen der
Rasse, des Alters und Orientierung, wie ich zuvor ausgeführt habe, und
des Geschlechts, wie ich es hier konkretisiert habe, geht dies Hand in
Hand mit anderen problematischen Vorstellungen. Vorstellungen darüber,
was Familie ist oder sein sollte, und wie Kinder als Gleiche
funktionieren können oder sollten; Fragen von Krankheit/Gesundheit und
Vermögen/Unvermögen, den Status sexuell übertragbarer Krankheiten
einschließend; Fragen der gesellschaftlichen Klasse und ökonomischen
Position; und eine Reihe anderer. Aber, wie schon ein Kommentator
anmerkte, dies ist ein Blog-Post und nicht ein Buch. Und doch…

(Ende des neuen Abschnitts!)

***
In der Summe habe ich drei wesentliche Probleme mit Polynormativität.

Erstes Problem: das polynormative Modell ist irgendwie beschränkend.
Vielleicht könnte es, iiirgendwieee, für einige Leute funktionieren –
ich will nicht soweit gehen zu sagen, dass könnte es auf gar keinen
Fall. Aber es geht mit einer Vielzahl von Problemen einher für all
diejenigen, die damit zu tun kriegen, am ehesten bemerkbar für
diejenigen mit der schwächsten Stellung innerhalb einer
Beziehungsstruktur, doch ebenso in subtilerer und heimtückischerer Weise
für diejenigen, die an einem privilegierteren Platz in dieser Struktur
stehen. Meine Güte, was meint ihr, das ist doch so ziemlich dasselbe wie
in jedem System der Privilegiertheit / Unterdrückung! Ich werde wohl
aufhören, kurzerhand polynormativen Leuten zu sagen: „Hey, ihr macht es
falsch!“, aber, naja, ehrlich? Weit davon entfernt bin ich nicht. Mag
sein, näher an: „Ihr überseht den entscheidenden Punkt.“

Wegen dieser Haltung, vermute ich, könnte ich einige wütende oder
defensive Kommentare einer Menge polynormativer Leute erhalten, die sich
ganz toll mit ihrem Modell fühlen. Denen möchte ich folgendes sagen:
wenn du ein Teil eines Primary-Paares in einem polynormativen Modell
bist, und dein(e) „secondary“-Partner verteidigen dieses Modell genauso
vehement wie du, oder sogar noch mehr – keine Verteidigung von euch als
Individuen, oder Eurer Beziehung, sondern des polynormativen Modells als
solches – ohne irgendetwas auszulassen oder ein wenig zu flunkern, um
keine Konflikte zu riskieren oder oder dich als Partner zu verlieren,
dann fällst du unter die Minderheit derjenigen polynormativen Leute, für
die dieses Modell tatsächlich funktioniert, und zwar super gut für alle
Beteiligten. (Und ich meine Alle. Wenn es nur für das Primary-Paar
wirklich gut funktionieren sollte, dann funktioniert das Modell gar
nicht.) Wenn du in dieser Weise verbunden bist, dann gibt es keinen
Grund, in Verteidigungshaltung zu gehen – dann kritisiere ich dich nicht
wirklich und in keiner Weise. Wenn dies jedoch nicht der Fall ist, gib
deine Verteidigungshaltung auf und denke ernsthaft über die
Kritikpunkte nach, die ich hier dargelegt habe.

Falls ich beginnen sollte, in den Mainstream-Medien eine Fülle an
Zeugnissen von glücklichen, erfüllten Secondary-Partnern dahingehend zu
sehen, wie genial das Primary-Secundary-Modell ist… Wenn diese
Secondaries beginnen, die neuesten Hits an Polybüchern zu schreiben und
dort Rat geben, die Hauptrollen in Reality-TV-Shows haben, und dies
alles als Secondaries tun (nicht als Leute, die gelegentlich für
jemanden Secondary sind, aber das ist alles okay und ausbalanciert und
fair, weil sie ausserdem für jemand anderen Primary sind)… dann sollten
sie ihr Gesicht in Fotos zeigen, ihren vollen und realen Namen in
Artikeln verwenden, und sich generell nicht im geringsten komisch fühlen
angesichts ihrer Position in diesen Poly-Strukturen direkt neben den
Primary-Partnern, die als solche dargestellt werden… wenn dies nicht
eine gelegentliche Ausnahme, sondern die übliche Weise der
Repräsentation ist, die ich von und über Secondary-Partner sehe… dann
werde ich möglicherweise meine Haltung hier ändern. Ich halte aber nicht
die Luft an.

Zweites Problem: die Medien präsentieren diese Normen als, nun ja,
Normen. Als den Königsweg, poly zu leben. Im besten Fall gibt es eine
kurze Erwähnung, dass einige Leute Poly auf eine andere Weise leben,
irgendwo da draussen, und wir verstehen sie nicht wirklich, oder
möglicherweise sind diese Formen zu kompliziert für uns, um sie in einem
1000-Worte-Artikel zusammenzufassen. (Triaden! Quartette! Familien! Ws
und Xe und Buchstaben aus dem griechischen Alphabet und Konstellationen
und Ökosysteme! Das ist alles so unheimlich. Und außerdem ist Mathe
schwierig.)

Doch in der Regel werden „andere“ (oh, guck dir diese Konstruktion an!)
Arten von Poly überhaupt nicht erwähnt. Es gibt diesen einen Weg, und
hier ist er! Ist das nicht großartig? So tapfer! So ungewöhnlich!
Wirklich sehr innovativ, meinst du nicht auch? Ob nun beabsichtigt oder
nicht, endet dieser Ansatz in einer Abflachung des Bildes von Poly, der
Darstellung in einfachsten, verdummenden Begriffen. Es ist kein Zufall,
dass diese Version von Poly diejenige ist, die am meisten der ein-Mann-eine-Frau,
heiratsbasierten, kernfamilienartigen Form ähnelt, von der
uns allen erzählt wurde, dass wir sie anstreben sollten. Alles, was wir
getan haben, ist, die Regeln um den Sex herum etwas zu lockern, und im
Gegensatz (doch nicht zu sehr im Gegensatz) zur Swinger-Ethik,
„erlauben“ wir auch dem emotionalen Ende der Dinge zu existieren in dem
Sinne, dass wir Beziehungen haben und nicht „nur“ bumsen. Aber nicht die
Art von Beziehung, die das „Primary“-Paar „bedrohen“ (?!) könnte. Nicht
mit Leuten, die, Gott bewahre, Forderungen an einen oder beide von uns
stellen könnten, oder uns behelligen, oder mitreden wollen, wie die
Dinge zu laufen haben.
Denn dann, nicht wahr, bekommen sie einen Tritt, weil die Primaries
schließlich zuerst kommen! Darauf können wir uns doch alle einigen,
oder? Natürlich. Das ist die Essenz der primären Beziehungen. Dies ist
ziemlich klar in seiner Terminologie. Eine Person kommt zuerst, die
anderen nicht. Dies ist der Grund, warum der Mainstream Poly überhaupt
in den Kopf bekommt: weil es, auf diese Weise verstanden, wirklich nicht
so grundverschieden von Monobeziehungen ist.

Drittes Problem: diese ganze Sachlage wirkt sehr nachteilig auf die
Neulinge. Wegen dieser überwältigenden Schieflage in der medialen
Darstellung werkeln eine Menge Leute, für die Poly neu ist, mit großen
Schwierigkeiten vor sich hin.

Ich bin nicht gerade jemand, der die Vergangenheit idealisieren würde,
aber Junge Junge, was war das für ein Unterschied gegenüber der Zeit vor
zehn oder fünfzehn Jahre. Wenn du zu meiner Zeit (ha!) etwas über Poly
lernen wolltest, gab es nur eine Quelle: The Ethical Slut von Dossie
Easton und Catherine A. Liszt (als welche Janet Hardy zu der Zeit
bekannt war). Das war in Ordnung. Nicht perfekt. Stark schräg in
Richtung Sex-Party-Besucher-Bay-Area-Müsli-Typen und geschrieben in
solch einer bodenständigen Sprache, dass es über niemandes Kopf
hinweggehen würde, aber insgesamt ziemlich solide, und sehr zum
Nachdenken anregend. Deborah Anapol’s Polyamory: The New Love Without
Limits war nicht annähernd so populär oder sexy, aber es wurde zu einem
ziemlichen Klassiker und beleuchtete einen anderen Blickwinkel. Und, na
ja, das war es dann. Jenseits dessen gab es ein paar
Online-Diskussionsforen und möglicherweise, wenn du in einer großen
Stadt lebtest, lokale Real-Life-Polygruppen. Das bedeutete, dass, wenn
du herausbekommen wolltest, wie du Poly leben könntest, du das meiste
selbst ausprobieren musstest (was ein gute Sache sein kann, wenn auch
besonders anspruchsvoll); dass du mit Leuten aus deiner lokalen
Gemeinschaft sprechen musstest, die vielleicht recht klein war, aber
wahrscheinlich auch ziemlich warm und unterstützend, oder irgendwo weit
weg eine Konferenz besuchen musstest, die eine Gruppe von Leuten
zusammenbrachte. Und diese Leute lebten vielleicht auf alle möglichen
Arten poly, mit primary-secondary als bloß einer davon. (Schon damals
war das verdammt gebräuchlich, so dass ich nicht sagen möchte,
Polynormativität sei völlig neues Problem – es ist nur schlimmer denn je.)

Jetzt kannst du jedoch „polyamory“ googlen und eine ganze Menge an
nahezu identischen polynormativen Hype-Artikeln erhalten, und du kannst
dich mit Leuten aus deiner Gegend treffen, die dieselben Artikel gelesen
haben wie du gerade, und ihr könnt alle zusammenkommen und in genau der
Weise poly leben, die die Medien euch erzählt haben. Und falls das alles
ist, worum du dich jemals bemühst, verkaufst du dich grundsätzlich unter
Wert. Du handelst in der Mono-Norm für Polynormativität, was,
relativ gesprochen, gar nicht so weit hergeholt ist, und hörst an diesem
Punkt auf, weil du denkst, dass das alles ist (und hast bereits eine
ganze Reihe cooler Punkte ausser Acht gelassen). Du wirst nicht
ermutigt, über diese ganzen Punkte ohne irgendwelche vorgefertigten
Modelle nachzudenken, was bedeutet, du wirst nie herausfinden, was
gerade jetzt am besten für dich passen würde. Als solches geht das
grundlegendste Element von Polyamorie überhaupt – den Mono-Standard
zurückzuweisen und radikal die Bedeutung und das Leben von Liebe, Sex,
Beziehungen, Verbindlichkeit, Kommunikation und so weiter zu überdenken
– verloren zugunsten eines Schnipsel-Rezept-Modells, das so einfach
scheint wie eins-zwei-drei. Die tiefsten und allerwichtigsten Vorteile
von Polyamorie werden durch diese mediale Repräsentation zunehmend
verdeckt,und als Ergebnis gerät dies alles immer mehr ausser Reichweite
für diejenigen, die gerade erst anfangen, poly zu leben.

Ich möchte hier noch ein letztes Mal wiederholen, dass ich ein Problem
mit dem polynormativen Modell habe und dem Beharren der
Mainstream-Medien auf diesem – nicht jedoch mit einer bestimmten
Beziehungsstruktur oder mit jedweden Leuten, die sie praktizieren. Ja,
das polynormative Modell und die Primary-Secondary-Beziehungsstruktur
überschneiden sich häufig, aber ich kann, wenn ich dich anschaue, nicht
sagen, welche Prozesse, Werte oder Umstände dich zu deiner gegenwärtigen
Struktur gebracht haben, oder warum du deine Begrifflichkeit gewählt
hast, also kann und werde ich weder individuelle Leute noch
Polygruppierungen kritisieren oder über sie urteilen auf der alleinigen
Grundlage, dass sie eine Primary-Secondary-Struktur leben. Wenn dieser
Beitrag nun ein Gefühl der Verteidigungshaltung in dir provoziert, dann
lade ich dich ein, dich damit auseinanderzusetzen und darüber
nachzudenken, warum es das tut.

Der Schlüssel ist hier die Unterscheidung zwischen Philosophie und der
gegenwärtigen Situation oder Praxis. Dies ist so ähnlich wie die
Tatsache, dass die sexuelle Orientierung und die aktuelle gegenwärtige
sexuelle Praxis nicht ein und dasselbe sind. Du kannst zum Beispiel
homosexuell sein und gerade zölibatär, oder bisexuell, aber dieser Tage
nur Sex mit Frauen haben, oder fundamental hetero, doch in Verbindung
mit jemandem des gleichen Geschlechts (obwohl mir klar ist, dass dies
einige letztlich werden ausdiskutieren wollen). Wenn es polyamor wird,
wird es manchmal ungeachtet deiner Philosophie in einer bedeutenden
Beziehung mit Zusammenleben enden, gleichzeitig jedoch auch in einer
oder mehreren weniger ernsthaften oder weniger verbindlichen oder
weniger intensiven Beziehungen als dieser einen. Es ist das
polynormative Gedankengut, mit dem ich ein Problem habe, nicht mit einer
Form einer gerade gegebenen Polybeziehungskonstellation.

***
Falls du das polynormative Modell erweitern möchtest, kann ich einige
Lektüre empfehlen. Lies zuerst Wendy-O-Matiks “Redefining Our
Relationships”. Dann probiere es mit Deborah Anapols “New Polyamory in
the 21st Century: Love and Intimacy with Multiple Partners”. (Ich selbst
habe es bis jetzt nicht vollständig gelesen, aber die Auszüge, die ich
gesehen habe, lassen mich annehmen, dass Dr. Anapol eine Menge wirklich
kluges Zeug über nicht-polynormative Modelle zu sagen hat, obwohl ich
nicht denke, dass sie diesen Begriff speziell benutzt.) Verbringe einige
Zeit mit dem Lesen von Franklin Veaux. Lies meine 10 Regeln für eine
glückliche Nicht-Mono-Beziehung. Wenn du D/S- oder M/S-Beziehungen lebst,
lies Raven Kalderas Power Circuits: Polyamory in a Power Dynamic
(komplette Enthüllung: ich habe einen Aufsatz dazu beigetragen). Suche
nach Informationen, Ideen, Arbeiten, die dich zwingen, gründlich und
angestrengt nachzudenken, baue deine Fähigkeiten aus und weite dein
Herz. Die Lösung ist da draußen. Du bist am Zug.