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Bijou-Artikel: Polyamorie und die PAN-Treffen

Mai 28th, 2016

Was ist Polyamorie?

Polyamorie ist aus dem griechischen „poly“ (viele) und dem lateinischen „amor“ (Liebe) gebildet und steht für „vielfache Liebe“. Polyamorie ist ein Oberbegriff für einvernehmliche, verantwortungsvolle, langfristige Liebesbeziehungen zwischen mehr als zwei Menschen, in denen alle Beteiligten über das gesamte Beziehungsnetz Bescheid wissen.

Mehr Grundlagen-Informationen gibt es auf unserem Flyer.

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Wie alles angefangen hat…

Die erste Organisationsform polyamorer Menschen im deutschsprachigen Raum war eine Mailingliste (www.polyamory.ch), die im Sommer 2000 von einem engagierten Schweizer eingerichtet wurde, um den wenigen arg verstreuten deutschsprachigen Polys eine vernünftige Plattform zu geben. Diese hatten in diversen Städten bereits regelmäßige lokale Stammtische etabliert, aber noch keine größere Community gebildet. Viele waren auf US-amerikanischen Websites auf den Begriff Polyamory gestoßen und schrieben in englischsprachigen Foren. Es gab von Anfang an verschiedene sexuelle Ausrichtungen unter den Polys, und Bisexualität war öfter vertreten als in anderen Gruppierungen.

Über die poly-ch Mailingliste fanden dann über etliche Jahre hinweg lebhafte Diskussionen zwischen immer mehr Menschen aus allen Gegenden Deutschlands und der Anrainerstaaten statt. Der Wunsch, sich auch einmal über größere geographische Distanzen hinweg „in echt“ zu treffen wurde von einigen beherzten Optimisten zum Anlass genommen, im Frühjahr 2008 in Hessen das erste deutschsprachige Polytreffen zum Austausch, zur Vernetzung, zur Fortbildung und zur Organisation von Aktivitäten einzuberufen. Beworben wurde dies einzig auf der Mailingliste, und die Handvoll Veranstalter bangten, ob sie das gebuchte Tagungshaus würden allein bezahlen müssen – aber es kamen 50 Menschen voller Begeisterung und Tatendrang (darunter auch etliche nicht monosexuelle) so dass weitere und größere Treffen geplant werden konnten.

Da viele Tagungshäuser nicht an Einzelpersonen vermieten, die Treffen bisher haftungsrechtlich nicht abgesichert waren und die Verwaltung der Ein- und Ausgaben über Privatkonten lief, bot es sich an, den Verein „Polyamores Netzwerk“ (PAN e. V., www.polyamory.de) zu gründen, der mittlerweile ca 120 Mitglieder hat und seitdem die überregionalen Treffen organisiert.

Diese finden nun seit 2008 zweimal im Jahr, seit 2014 sogar dreimal im Jahr an verlängerten Wochenenden mit bis zu 150 Personen und bis zu 70 Workshops, Gesprächsrunden und anderen Events statt. Die Treffen stehen natürlich auch Nichtmitgliedern offen. Die nächsten Termine sind 3.- 7. Juni 2015, 7. – 11. Oktober 2015 und 5.- 9. Februar 2016.

 

Wie ist so ein Polytreffen?

Die Treffen sind komplett selbst organisiert, d. h. alle Programmpunkte werden von Teilnehmenden angeboten. Es gibt keine Unterteilung in Anbietende und Konsumierende, alle sind Teil des Treffens und können es durch ihre Mitwirkung gestalten. Es gibt jede Menge Möglichkeiten eigene Erfahrungen zu teilen, Fragen zu artikulieren und sich über die unterschiedlichen Arten, polyamore Lebensweisen zu verwirklichen auszutauschen. Es nehmen sehr unterschiedliche Menschen teil, die eine große Vielfalt einbringen. Überdurchschnittlich viele der Teilnehmenden sind nicht monosexuell. Die Workshops sind extrem breit gefächert, es gibt viele Angebote im Themenkreis „unkonventionelle Beziehungen“, „Beziehungsskills“, „Verbesserungen in Kommunikation und Streiten“, „Sexualität“, „Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung“, aber auch künstlerische und spielerische Aktionen, Yoga, Meditation, Massage und anderes. Traditionell gibt es an einem Abend eine Kuschelparty und an einem anderen Abend eine Tanzparty, aber es existieren außer der Einführungsrunde keine Pflichtveranstaltungen. So stellen sich alle ein Programm nach den eigenen Wünschen und Bedürfnissen zusammen. Dadurch entsteht ein ganz persönlicher Mix aus Workshops, Gesprächen, Erlebnissen und Alleine-Zeit – was immer gerade das Richtige ist.

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Persönliche Eindrücke von Cloudy

Ich habe mich schon in meiner Jugend zu verschiedenen Menschen hingezogen gefühlt, ohne dass ich es an einer Geschlechtszugehörigkeit festmachen konnte. Und ich fand es noch nie vernünftig, wenn man eine Person toll fand, dann keine anderen Personen mehr toll finden zu dürfen. Daher war mein Liebesleben immer ziemlich turbulent. Glücklicherweise lebte ich in einer Großstadt und konnte immer wieder Menschen kennenlernen, die ähnliche Wünsche und Sichtweisen hatten.

Auf den Begriff Polyamorie und die deutschsprachige Poly Community bin ich aber erst 2009, mit Anfang 30, gestoßen. Zuerst stolperte ich über die regionale Stammtisch-Gruppe, und kam dann darüber auch zum überregionalen Polytreffen. Der Kontakt und Austausch mit anderen Polys hat mir sehr geholfen, meine Gedanken über meine Beziehungsvorstellungen zu strukturieren und besser darüber kommunizieren zu können, wie ich fühle und was ich möchte.

Mein erstes großes Polytreffen war sehr beeindruckend für mich, und seitdem bin ich immer wieder dabei gewesen, weil es mir sehr gut tut, mich in einer großen Gruppe von Menschen zu bewegen, die überhaupt nicht darüber reden wollen, ob man mehrere Beziehungen zur gleichen Zeit führen könnte, sondern darüber wie man das bestmöglich gestalten kann – das ist immer wieder eine unglaublich angenehme und bereichernde Erfahrung für mich.

Es gibt enorm unterschiedliche Menschen auf den Treffen, verschiedene Altersklassen, Subkulturen, sexuelle Orientierungen und Gesellschaftsschichten sind vertreten. Es gibt anteilig deutlich weniger Heterosexuelle als in der „freien Wildbahn“. Es gibt durchaus wahrnehmbare Gruppen wie z. B. Tantriker, BDSMler und Nerds, aber keine der Gruppen dominiert. Die Atmosphäre ist sehr herzlich und tolerant, ich habe mich nie fehl am Platze gefühlt, auch wenn ich mich keiner Gruppierung zuordnen kann. Es sind auch Menschen mit verschiedensten Vorstellungen darüber, wie genau sie polyamor leben wollen und auf unterschiedlichsten Erfahrungsniveaus dabei, so dass es immer Anziehungs- und Abstoßungspunkte für mich gibt, die die Treffen so abwechslungsreich und ungewöhnlich machen.

All das auszulassen, was mich nicht anspricht, ist leicht: Es gibt weder irgendeinen Druck, bei etwas mitzumachen, noch einen Mangel an Alternativangeboten. Insbesondere private Gespräche, die sich abseits von Programm und Workshops zufällig ergeben haben, haben mir oft sehr viel gegeben. Ich habe im Laufe der Jahre auf den Treffen etliche Bekanntschaften geknüpft, mit denen ich auch das Jahr über in Kontakt stehe, und obwohl die meisten davon ziemlich weit weg wohnen, hat das mein Leben eindeutig schöner gemacht.

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Persönliche Eindrücke von Marlin

Als ich im Herbst 2013 zum ersten Mal auf das überregionale Polytreffen gefahren bin, hatte ich bereits vier Jahre lang polyamor gelebt und wusste längst, dass diese Beziehungsform für mich das Richtige ist: weil ich mehrere Menschen verschiedener Geschlechter zugleich innig liebe und mit ihnen selbstbestimmte, auf die tatsächlichen Bedürfnisse aller Beteiligten ausgerichtete Beziehungen führen möchte.

Dennoch hatte ich in der Zeit zuvor sehr wenig Kontakt zu anderen polyamor lebenden Menschen gehabt, insbesondere weil Stammtische einfach nicht so mein Ding sind und ich vor allem nach Gleichaltrigen bzw. Menschen mit einer ähnlichen Lebenssituation wie mir als studierendem Mittzwanziger suchte. Außerdem erschien es mir immer seltsam – wieso sollte ich über so etwas Intimes wie meine Beziehungen mit völlig fremden Menschen sprechen wollen? Mein Beziehungsnetzwerk hatte sich unabhängig entwickelt und war lange Zeit gut, wie es eben war.

Erst eine schmerzhafte Trennung gab mir den Impuls, auf das Polytreffen zu fahren. Ich wollte neue Leute kennenlernen, die mich wirklich verstehen würden: denn wer nie polyamor gefühlt oder gelebt hat, kann Vieles eben nicht nachvollziehen. Wenn ich mit meinen monogam lebenden Freunden über Eifersucht sprach, dann dachten sie, ich würde meine Partner für mich alleine haben wollen – während ich eigentlich Rat suchte, wie ich selbst emotional über meine Verlustängste herauswachsen könnte.

Dies und noch viel mehr fand ich dann auf dem Treffen. Der krasse Unterschied zur „Welt da draußen“ war deutlich spürbar, denn wenn ich nun von meinen Beziehungen und meinen persönlichen Baustellen sprach, machte das für die Anwesenden plötzlich Sinn! Ich hatte das Gefühl, einfach meine Herde gefunden zu haben, zu der ich gehöre – eine Herde voller lieber Menschen, die mich gerne aufnahmen und wo ich kein Exot bin.

Ich war seitdem auf jedem einzelnen Polytreffen des PAN und einfach jedes war auf seine ganz eigene Art wunderschön – egal ob groß mit 150 oder klein mit 50 Teilnehmenden. Ich schätze vor allem die emotionale Offenheit der Menschen und wie verkuschelt es zugehen kann, ohne dass dabei irgendeine sexuelle Spannung entsteht. Wie ich die Treffen erlebt habe, hatte vor allem mit mir selbst zu tun. War ich gerade offen für Neues, suchte eine spannende Diskussion? Wollte ich ein kleines Abenteuer erleben und austesten, wo meine Grenzen liegen? Oder war ich eher in mich gekehrt, brauchte etwas Ruhe und vielleicht einen Waldspaziergang, ein erhellendes Vieraugengespräch? Bei allem habe ich mich „richtig“ gefühlt.

Polytreffen heißt für mich auch: viele liebe Menschen wiederzusehen, die ich sonst aufgrund der räumlichen Distanz einfach nicht oft einzeln besuchen kann. Und die Gemeinschaft zu erleben von ganz vielfältigen Menschen: alle möglichen Geschlechter (nicht bloß Männer und Frauen), alle möglichen romantischen und sexuellen Orientierungen. Künstler und Pädagogen vereint mit Naturwissenschaftlern in einem bunten Kuschelknäuel, direkt daneben zwei Verliebte, die sich trotz dreißig Jahren Altersunterschied ganz intim und innig in die Augen blicken. Diskussionen nicht nur über Beziehungen, sondern auch Philosophie, Technik und Computer, Spiritualität, Politik, Kindererziehung und alles Mögliche andere.

Für viele ist das Treffen ein Ort, wo sie deutlich mehr „sie selbst“ sein können als im Alltag, weil es als bereichernd empfunden wird und niemand irgendwelchen Normen entsprechen muss. Gerade Bisexualität ist deutlich sichtbar vertreten und nur wenige gehen auf den Treffen automatisch von Heterosexualität aus. Homophobie wird absolut geächtet und das gibt z. B. Raum für Gespräche und Workshops, in denen Männer ihre Berührungsängste zu anderen Männern explizit ansprechen und abzubauen versuchen. Ich würde die Treffen insgesamt nicht als kompletten „safe space“ bezeichnen, weil bei einer so durchmischten Gruppe auch immer jemand dabei ist, der z. B. von Transsexualität oder nichtbinären Geschlechtsidentitäten keine Ahnung hat und ungewollt cissexistische Kommentare raushaut. Das ärgert mich dann, aber es lässt sich zum Glück auch immer jemand finden, der das genauso erkennt und kritisiert wie ich. Und es ist selten ein Problem, Leuten aus dem Weg zu gehen, die mich stören. Die Organisation des Treffens bemüht sich jedenfalls redlich darum, dass sich alle wohl fühlen können und informiert auch auf der Website und in der Eingangsrunde über die Vielfältigkeit der Menschen, ihrer sexuellen Orientierungen und dass es mehr gibt als Mann und Frau, homo und hetero. Das finde ich klasse.

Zusammenfassend: Die Polytreffen sind für mich etwas Lebendiges. Sie sind das, was die Teilnehmenden selbst damit machen. Und sie machen auch etwas Tolles mit jedem Einzelnen.

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Dieser Beitrag ist zuvor im BiJou 30 (www.bine.net/bijou) erschienen! Alle Bilder von hko.

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