Gegen die Liebe (3): Liebeskapitalismus

Mai 7th, 2011

Ein Text gegen den Mythos der Großen Liebe, gegen die kitschige, romantische, exklusive, heteronormative, in Schubladen gesteckte, besitzergreifende Liebe.

Teil 3 (Hier Teil 2 lesen): Das Prinzip von Angebot und Nachfrage in der Liebeskultur. Liebe als begehrtes Luxusgut und Ideen, wie wir alle Zuneigung und Zärtlichkeit im Überfluss haben können.

Die Liebeskultur erzeugt ein Wirtschaftssystem der Zuneigung. Denn indem sie Zuneigung und Zärtlichkeit idealisiert und gleichzeitig verknappt, schafft sie eine Mangelsituation und damit eine Nachfrage.

Unsere Kultur idealisiert die Liebe. Die Liebe ist alles, alle Zärtlichkeiten zusammen, alle Gefühls-Güter auf einmal. Sie ist eine Mine, ein Schatz an Zärtlichkeit und Zuneigung. Die Liebe wird also eine Form von Beziehung, die extrem ist, übermäßig begehrt und erträumt. Wenn man sie nicht hat, möchte man sie unbedingt haben. Wenn man sie hat, hat man furchtbare Angst, sie zu verlieren. Und wenn man sie nicht mehr hat, dann stirbt man – naja, fast.

Aber gleichzeitig ist die Definition von Liebe so eng gefasst, so anspruchsvoll, dass man Mühe hat, sie zu erfüllen.

Man braucht alle Gefühls-Güter der Liebe gleichzeitig, oder aber gar keins, es gibt kein Zwischending. Man muss in alle soziale Kategorien passen, die für die Liebe vorgesehen sind. Keine Zärtlichkeiten ohne exklusive Paarbeziehung, keine Paarbeziehung ohne Märchenprinz(essin), keine enge Vertrautheit ohne Pakt für die Ewigkeit… Dabei sind doch all diese Bedingungen so einschränkend und machen aus uns so übertrieben anspruchsvolle Wesen, dass die Möglichkeiten, Zärtlichkeiten auszutauschen Mangelware werden. Da beginnt der Zuneigungs-Mangel.

Auf diese Weise werden die Gefühls-Güter zu Luxusgütern. Man umgibt sie mit einer Aura, einem Glanz, misst ihnen einen völlig übersteigerten Wert bei, indem man sie mit Mythen mischt. Gleichzeitig spart man sie auf für so bestimmte und totalitäre Situationen, dass sie Mangelware werden. Die Kultur der Liebe kurbelt die eigene Nachfrage an und verringert gleichzeitig die vorhandene Menge (das Angebot). Sie bringt schizophrene Menschen hervor, die ein brennendes Verlangen nach Liebe entwickeln und sich gleichzeitig eine zu anspruchsvolle Definition von Liebe basteln. Menschen, die sich von einem Ideal abhängig machen und dabei gleichzeitig dieses Ideal unerreichbar machen. „Wenn ich nicht das alles gleichzeitig habe, dann habe ich nichts und bin nichts.“

Da wo es ein Wirtschaftssystem gibt, einen Mangel, eine Notlage, da lässt der Kapitalismus nicht lange auf sich warten. Er kommt mit all seinen Prinzipien, Ausformungen und Verhaltensmustern. Wenn ein Gut Mangelware ist, haben tendenziell alle Angst, nichts davon zu haben, und es entstehen ein Wettbewerb um es zu bekommen, und Besitzstreben um es sich nicht entgehen zu lassen.

Der Wettbewerb um Zuneigung beinhaltet zum Beispiel, den Traumprinzen oder die Traumprinzessin einzufangen. Na klar. So perfekte Leute gibt’s schließlich nicht an jeder Straßenecke. Man denkt, dass man seinen Prinzen/seine Prinzessin gefunden hat, aber oft blickt man um sich und entdeckt, dass andere auch auf ihn/sie aufmerksam geworden sind. Denn unsere Liebes-Kriterien, die uns so individuell und persönlich erscheinen, haben kulturelle Wurzeln und werden von mehr Menschen geteilt, als man glaubt… Der Traumprinz, die Traumprinzessin, das ist die Klassenschönheit oder der Star des Dorfes… Oder im Extremfall das Sex-Symbol, das in allen Zeitschriften und Fernsehsendungen gelobpreist wird… Es passiert uns sogar, dass wir den/die Partner(in) des Sex-Symbols (der/die selber ein Star ist) dafür beneiden dass er/sie das Sex-Symbol für sich gewinnen konnte: „so ein Glückspilz“.

Die Angst vor einem Mangel an Zuneigung führt zu allen denkbaren Formen von emotionalem Besitzverhalten: Eifersucht, Abhängigkeit, Besitzdenken… „Sie gehört mir, du wirst sie nicht kriegen… Wenn du sie für dich gewinnen kannst werde ich alleine sein… Außer, ich habe einen Notfallplan, die und die Andere zum Beispiel, ich weiß, dass ich ihr gefalle, gottseidank, denn Einsamkeit und Single-Dasein sind sterbenslangweilig“. Traumprinz und Traumprinzessin sind seltene Vögel, die man in einen Käfig sperrt. Manchmal besitzt man sich gegenseitig und bleibt so jahrelang in einer Paarbeziehung, aneinander gefesselt, weil beide Angst davor haben, wieder bei Null beginnen zu müssen bei dem Versuch, eine(n) neue(n) Traumprinz(essin) zu finden und für sich zu gewinnen.

Schließlich gräbt der Mangel an Gefühls-Gütern einen Graben zwischen den „Besitzern“ und den „Nicht-Besitzern“. Zahlreich sind diejenigen, die von Zärtlichkeit ausgeschlossen sind, ausgeschlossen aufgrund ihres Äußeren, ihrem Mangel an Erfahrung, ihrem Mangel an Gewandtheit, ihrem mangelnden Selbstvertrauen angesichts der riesigen und komplexen Herausforderung, die der Zugang zur Liebe ist…

Man kann sagen, dass es ihnen an Zuneigungs-Kapital mangelt. Und wie in jedem Herrschaftssystem gilt: je weniger Kapital man hat, desto geringer sind die Gewinnaussichten – das ist ein Teufelskreis. Die emotional Ausgeschlossenen sind von Anfang an zu unsicher und haben deshalb wenig Erfahrung in Beziehungen und Gefühlsdingen, also haben sie niemals die Gelegenheit, selbstsicherer zu werden, also bleiben sie gehandicapt – mal abgesehen von Begegnungen, die an ein Wunder grenzen.

Paradoxerweise und ungerechterweise sind es oft diese von Zuneigung Ausgeschlossenen, die mehr als alle anderen die vorherrschenden Mythen und die Verhaltensweisen des Liebeskapitalismus verinnerlicht haben. Ihr Mangel an eigener Erfahrung ermöglicht es ihnen nicht, die Liebesmythen zu zerstören oder deren Absurdität zu verstehen. Weil sie zu sehr an die Mangelsituation gewöhnt sind, haben sie Horror davor, auch nur einen Fußbreit Zuneigung und Zärtlichkeit zu verlieren. Man vergisst diese Menschen schnell und sie landen dann manchmal in der Psychiatrie, in den Nachrichten in der Rubrik „Panorama“, werden depressiv oder rasten auf die ein oder andere Art aus… Der Zuneigungsmangel drückt auf die Stimmung und zehrt an den Nerven.
Wir sollten nicht vergessen dass der Zuneigungsmangel nur ein soziales Konstrukt ist, das von der Liebeskultur erzeugt wurde.

Wo es eine Knappheit gibt, gibt es eine Nachfrage, also einen neuen Markt. Der Kapitalismus kreuzt auf, durstig nach Profit und diesmal zieht er Gewinn aus den Moralvorstellungen, die wir in Bezug auf die Liebe haben, wie auch aus anderen Moralvorstellungen. Sie möchten ein Gefühls-Produkt? Hier bieten wir Ihnen Ersatz, gegen Bares : Pornografie, Prostitution, Psychotherapien, aufblasbare Gummipuppen… Geld ist eine gute Abkürzung.

Man kann die Liebe nicht kaufen, selbstverständlich nicht, denn dann würde man das Liebes-Ideal und seine Nebenprodukte töten, aber man kann all diese einzelnen, spezifischen Teil-Gefühlsgüter kaufen, die die Liebeskultur bündelt und in ihren Mythen einschließt. Aufmerksamkeit, ein offenes Ohr, Zärtlichkeit, Sex bieten Ersatz.

Wie bekommt man Gefühlsgüter? Das ist die Frage, die sich alle stellen. Vier mögliche Antworten bieten sich uns.

1) Die Kriterien der Liebe gutheißen. Ein(e) Traumprinz(essin) werden und seinen Traumprinz(essin) finden und erobern. Aber dieser Weg ist den Mächtigen, den Jungen, den Schönen und Selbstbewussten, den Erfahrenen vorbehalten. Er ist komplex und selektiv.

2) Liebesersatz kaufen. Geld ist doch ein viel einfacheres Mittel als all die komplizierten und riskanten Verführungsmanöver. Das Problem ist, dass man das Geld irgendwo her kriegen muss… Teil der wirtschaftlich dominierenden Klassen sein muss und/oder bereit sein, sich auf dem Markt der Lohnausbeutung anzubieten… Aber immerhin ist Geld die einfachste Ausweichlösung in einer Gesellschaft, die uns mit aller Kraft in die Lohnarbeit drängt und uns dazu ermutigt, unsere Probleme alleine zu lösen.

3) Gewalt, Erpressung, Bedrohung, Vergewaltigung. Das ist eine weitere Abkürzung, die viele einschlagen und die Verwüstung anrichtet.

4) Das Problem an seiner Wurzel anpacken: die Liebeskultur zerstören und die Fülle an Zuneigung und Zärtlichkeit verbreiten, die sie gefangen hält. Sich einzeln, zusammen, gesellschaftlich an die Dekonstruktion der Beziehungsnormen machen. Das ist die Lösung, an die ich glaube.

Die Gefühlsgüter sind in großer Anzahl verfügbar, sie sind da, sie existieren! Wir haben in Hülle und Fülle emotionale Mittel, wir träumen alle davon, sie zu verteilen und davon zu kosten, es liegt also nur an uns, das auch zu tun! Die Knappheit der Gefühlsgüter ist eine Illusion, eine Verordnung die wir nur zerreißen müssen, sie ist ebenso falsch wie die Knappheit der materiellen Güter, die vom kapitalistischen System frei erfunden wurde um diejenigen zu bestrafen, die sich weigern für die Besitzenden zu arbeiten.

Für kostenlose Gefühlsgüter! Für Zuneigung, und zwar reichlich, egalitär und ohne Machtspielchen. Für live Pornos, für kostenlose Psychotherapien, für das Ende der Spezialisierungen und Professionalisierung von Zuhören und Sexualität.  Um eines Tages die Handelsbeziehungen aus unseren Gefühlsleben wie auch aus dem Rest unseres Lebens zu verbannen. Je schneller desto besser!

 

Einige Vorschläge für Zuneigung und Zärtlichkeit im Überfluss:
– Beziehungen aufbauen, die einzigartig sind, bewusst gelebt werden und jenseits von Beziehungsnormen sind. Beziehungen, die  so unterschiedlich sind wie die daran beteiligten Menschen und ihre Vorlieben und Gelüste.

– Beziehungen alltäglich und weitverbreitet machen, statt ihnen einen heiligen Stellenwert beizumessen.

– Nicht-exklusive Beziehungen in Betracht ziehen, was nicht heißt dass man ungerührt einen Partner nach dem anderen konsumieren soll, sondern: sich selbst die Möglichkeit geben, nach und nach eine Vielfalt an egalitären Beziehungen zu entdecken, die auch gleichzeitig sein können. Dabei sollte einem unbedingt bewusst sein, dass das beim derzeitigen Stand der Dinge bedeutet, ein Experiment einzugehen und es deshalb umso mehr Aufmerksamkeit und gute Kommunikationsfähigkeiten bei den am Experiment Beteiligten braucht.

– Aufhören „ich bin in dich verliebt“ zu sagen und lieber sagen „ich bin von dir abhängig“

– Aufhören von Liebe und Freundschaft zu reden und genauere Begriffe benutzen.

– Traumprinzessin und Traumprinz Pickel und einen Waschbärbauch andichten.

– Kindern auch von anderen Formen von Zuneigung erzählen als von Liebe.

– Sich vorsichtig und nach und nach von Grund auf wandeln.

– Autonomie in Gefühlsbelangen entwickeln, was nicht bedeutet, sich in sich selbst zurückzuziehen, sondern die Quellen von Zuneigung und Nähe zu variieren und zu vervielfachen (Kuscheln, Massagen, Selbstbefriedigung, besondere Momente mit Freunden/-innen oder sich selbst…). Um mit anderen angstfrei und ohne Abhängigkeiten in Beziehung zu gehen, auf sichereren und offeneren Grundlagen.

Die anderen Teile des Textes lesen: Teil 1 (Gegen die Liebe), Teil 2 (Liebeskitsch)

Originaltext: La culture de l’amour von ‚Collectif‚, Übersetzung  aus dem Französischen von Chantilly