Gegen die Liebe (2): Liebeskitsch
admin Mai 6th, 2011
Ein Text gegen den Mythos der Großen Liebe, gegen die kitschige, romantische, exklusive, heteronormative, in Schubladen gesteckte, besitzergreifende Liebe.
Originaltext: La culture de l’amour von ‘Collectif‘, Ersterscheinung August 2003. Original in HTML-Version, PDF-Version. — Übersetzung aus dem Französischen von Chantilly
Teil 2 (Hier Teil 1 lesen): Klebrig-süße Liebesgeschichten umgeben uns überall. Doch wie geht’s eigentlich nach dem Happy End weiter? Was ist dran am Mythos Liebe?
Zwei Fragen quälen die kleine Lisa. „Du, Mama, warum gewinnen im Fernsehen immer die Guten?“ Das ist eine gute Frage, die verwinkelte Schemata und tiefergehende Geheimforschung verdienen würde. Aber hier ist sie uns weniger wichtig als die zweite: „Du, Opa, warum geht es in den Liedern im Radio immer um Liebe?“ Das stimmt, die Liebe wird ins Mikro gesungen, auf der Straße gesummt, man macht daraus Gold-Schallplatten, Love hier, Love da. „Aber warum singen die Sänger nicht vom Tod oder dem Meer oder der Macht oder der Geologie? Es gibt so viele Sachen!“ Opa wird antworten, dass unter allen diesen Dingen die Liebe die schönste, die intensivste ist, etwas was uns ganz tief berührt und uns Lieder schreiben lässt. Sicher, unsere Kultur bringt uns nicht bei, sensibel auf eine Windbrise, auf Gerüche, auf Ungerechtigkeiten zu reagieren, sie bietet uns nur einen großen Nervenkitzel, einen einzigen, der alle anderen aussticht: die Liebe. Findest du das gerecht, Lisa? Hast du keine Lust, Anna, Beate und Moritz zusammenzutrommeln und alle diese romantic love singers, diese genormten Opas, diese Barbies und Kens, die man dir in die Hand drückt, mundtot zu machen?
Naja, wir sind nicht alle so stark wie Lisa und lassen uns von diesen sanften Balladen, diesen klebrig-süßen oder bitteren Märchen einlullen. Schwierig, dem zu entkommen: Zeichentrickfilme, Kindergeschichten, Filme, Werbung, Zeitschriften, Romane, Nachrichten, sogar bei unseren Freunden… die Liebe begegnet uns überall in rauen Mengen. Diese Liebesgeschichten prägen uns, prägen uns ihre Kultur auf, sie bringen uns bei, all diese Mythen zu begehren.
Unsere Empfindsamkeit wird von ihnen geschaffen und dürstet gleichzeitig nach ihnen. Wenn wir ins Kino gehen um eine „schöne“ Liebesgeschichte zu sehen und wir berührt oder träumend aus dem Film kommen, dann haben wir gerade etwas von dieser konstruierten Liebe erlebt, und gleichzeitig haben wir noch ein wenig mehr verinnerlicht, wie schön und groß sie ist und dass wir danach streben sollen. Diese Filme kompensieren unsere Gefühlsmisere, indem sie uns einen Moment lang Identifikation und Katharsis bieten, die uns ermöglichen, indirekt zu erleben, was wir direkt nie in unserem eigenen Leben finden werden. Sie sind gleichzeitig tröstend und transportieren die Liebeskultur, sie lindern unsere Leiden, unsere Frustration und sind gleichzeitig Nährboden dafür, dass sie sich verstärken.
Habt ihr bemerkt wie diese Liebesgeschichten funktionieren? Es ist immer die gleiche Leier. Ein Märchenprinz und eine Märchenprinzessin treffen aufeinander, die Liebe wächst langsam im Laufe von heimlichen Blicken und unerwarteten Situationen. Dann kommt die Flirt-Phase, der Held und die Heldin nähern sich einander an, schleichen umeinander herum, machen Andeutungen, missverstehen sich… Spannung… Aber die Liebesgeschichte hat ein gutes Ende, der Prinz und die Prinzessin fallen einander in die Arme, dann kommt als Krönung der Kuss, dann der Abspann. Und danach? Wie ist das Leben nach diesem Kuss? Vermutlich ein Liebes-Paradies, ein erstarrtes, glattes Traumbild, „und sie lebten glücklich und bekamen viele Kinder, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.“ Ganz genau an der Stelle, an der die Erzählung abbricht, in dieser Stille, da tritt der Mythos Liebe zutage: das Glücksgefühl in der Liebe ist so total, dass es nichts mehr zu erzählen gibt. In der Flirt-Phase gibt es noch Prüfungen, die uns herausfordern und unsere Aufmerksamkeit verlangen; das Leben des Paars jedoch ist aalglatt und frei von Prüfungen, Wendungen und Überraschungen. Höchstens werden mal Schwierigkeiten gezeigt, die aber dann nur die Kulisse sind, um zu zeigen wie einer der Partner des anderen überdrüssig wird und eine Flirt-Phase mit jemand anderem beginnt.
Nur die „intellektuellere“ Literatur und Filme, die schwieriger zugänglich sind, beschreiben die Hindernisse und Schwierigkeiten, die es gibt, wenn die Liebe einmal ausgesprochen und besiegelt ist: die beklemmende Enge einer Liebesbeziehung, der Überdruss am Ende der Verliebtheitsphase, die Glanzlosigkeit des Familienlebens… In Klatsch- und Frauenmagazinen werden die Probleme des Lebens nach dem (Film-)Kuss wissenschaftlich behandelt, mit Unterstützung von Psychologen, als wenn es zu behandelnde Abnormitäten wären oder Alterskrankheiten.
Aber die Geschichten, die uns erbeben lassen, unsere Gefühle und Gelüste ansprechen, die bleiben dem Leben vor dem Kuss vorbehalten: die Liebe in der Trivialliteratur ist nichts anderes als ein Schlussstein, ein happy end. Dieses Schema wirkt sich auf unseren Kopf aus und nährt dort den Mythos der Liebe, der sich dann in unsere Wirklichkeit, unsere Pläne und Hoffnungen hineingräbt.
Weiterlesen: Teil 3: Liebeskapitalismus
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